: Elke Vesper
: Die Wege der Wolkenraths Roman
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104008875
: Die Geschichte der Wolkenraths
: 1
: CHF 10.00
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: German
: 560
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Hamburg in den Dreißigerjahren - und eine Familie zwischen Hass und Liebe Hamburg, im Mai 1933: Am Kaiser-Friedrich-Kanal brennen die Bücher. Die Familie Wolkenrath teilt sich in zwei Lager: Während die Männer der NSDAP beitreten, kämpfen die Frauen gegen das neue Regime. Lysbeth versucht, ihren jüdischen Mann Aaron zu schützen, ihre Schwester Stella bespitzelt für ihren englischen Liebhaber die Nazigrößen, mit denen ihr Gatte verkehrt. Und Stellas Tochter Angela arbeitet im Untergrund, unterstützt von der über 100jährigen Tante. Die Wolkenraths waren schon immer Meister im Bewahren von Familiengeheimnissen - wird ihnen das auch in diesen schwierigen Zeiten gelingen? Der dritte Band der großen deutschen Familiensaga

Elke Vesper hat selbst viele Jahre in dem Haus in der Kippingstraße gelebt, in dem sie ihre Familie Wolkenrath angesiedelt hat. Sie hat zahlreiche Romane veröffentlicht, in denen starke Frauenfiguren eine zentrale Rolle spielen. Elke Vesper arbeitet neben dem Schreiben als Psychotherapeutin, hat drei erwachsene Kinder und lebt in Hamburg.

2


Vier Monate zuvor, am30. Januar1933, war Hitler von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt worden. Von diesem Tag an hatten Stella und Lysbeth große Angst um Angela gehabt. Sie wussten, dass Angela ebenso wie ihr Geliebter Robert, die gemeinsam in Berlin lebten, zu denjenigen gehörten, die gegen die Nazis kämpften. Sie waren in großer Gefahr. Aber Stella und Lysbeth wussten, dass sie nichts für die beiden tun konnten.

Am6. Februar1933 gab es einen Fackelzug der Nationalsozialisten und Stahlhelmer durch Hamburg. Stella und Käthe weigerten sich, sich der begeisterten Menge in der Bundesstraße anzuschließen. Lysbeth aber wollte es sehen. Gemeinsam mit ihrer Nachbarin Luise Solmitz, deren Mann Fred und Tochter Gisela stellte sie sich an den Rand der Bundesstraße und wartete. Es war trocken und windstill, eine sternenklare Nacht, wärmer als die Februarnächte zuvor. Gegen zehn Uhr sahen sie den Zug heranmarschieren.

Luise hatte rote Wangen vor Begeisterung. Ihre Augen glänzten, als wäre sie verliebt. Sie hatte schon die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler mit einem Hoffnungsschrei begrüßt: »Endlich!«, hatte sie ausgerufen, als Lysbeth sie auf der Straße getroffen hatte. »Endlich ein Kabinett, das Deutschland aus der Talsohle führen wird. Was für eine Hoffnung!«

Und jetzt stand sie dort am Straßenrand zwischen ihrem Mann und ihrer Tochter und warf Lysbeth von Zeit zu Zeit einen strahlenden Blick und ein paar Brocken ihrer Gedanken und Gefühle zu. »Ist das nicht ein wunderbar erhebendes Erlebnis für uns alle?«, triumphierte sie zum Beispiel. Oder: »Göring sagt, der Tag der Ernennung Hitlers und des nationalen Kabinetts sei gewesen wie1914, und etwas wie1914 ist auch dies.«

Zwischendurch bemerkte sie leise: »Zwangsläufig werden sich jetzt ja Sozis und Rotfront finden. Am Sonntag haben die Roten gegen Hitler einen Protestumzug gemacht. Sie sind durch den Dreck des unerbittlichen Regenwetters gewatet. Aber ihr Zug war so klein, dass sie Frauen und Kinder dabeihatten, um ihn zu verlängern. Gisela hat sie gesehen.«

Sie glaubt ernsthaft, dass selbst das Wetter gegen die Roten und für die Nazis ist, dachte Lysbeth. Sie wunderte sich, dass die dreizehnjährige Gisela so lange aufbleiben durfte, denn der Fackelzug würde bestimmt bis Mitternacht dauern, und die Solmitz achteten normalerweise sehr darauf, dass ihre Tochter früh zu Bett ging. Da sagte Luise: »Gisela soll bis zum Schluss bleiben, die Kinder haben bisher überaus klägliche politische Eindrücke gehabt, Gisela soll wie einst wir auch einmal einen starken, nationalen Eindruck ganz auskosten und empfinden und als Erinnerung bewahren.«

Als die ersten Fackeln kamen, ging ein Ruck durch die Menge. Lysbeth dachte an Angela und meinte, vor Angst zu ersticken. Wie Wellen im Meer wogten Tausende von Braunhemden durch die Bundesstraße, deren Gesichter im Fackelschein begeistert leuchteten. »Unserm Führer, unserm Reichskanzler Adolf Hitler ein dreifaches Heil!«, riefen sie. Sie sangen »Die Republik ist Schiet« und von den Farben »schwarz-rot-senf« und »Der Rotmord hat ein blutiges Gesicht und wir vergessen den Mord an der Sternschanz nicht«.

Da beugte sich Luise zu Lysbeth und raunte: »Die Feldzeichen gleichen zu sehr den römischen, finden Sie nicht auch?« Lysbeth musste lächeln. Luise Solmitz und ihr Mann hielten sich viel auf ihre Bildung zugute. Sie war