: Theodor Fontane
: Grete Minde Erzählung
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104012315
: Fischer Klassik Plus
: 1
: CHF 2.00
:
: Hauptwerk vor 1945
: German
: 120
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Tangermünde brennt! Die materielle Gier und die Arroganz ihrer Verwandten, mehr aber noch der »Trotz ihres eigenen Herzens« haben Grete Minde zur Brandstifterin und Amokläuferin gemacht. Die beklemmende Schilderung eines psychisch instabilen Menschen, der um seine Identität und Würde kämpft, unter extremem Druck die seelische Balance verliert und seinem Wunsch nach Rache, Zerstörung und eigenem Untergang keinen Widerstand mehr entgegensetzen kann.

Theodor Fontane, am 30. Dezember 1819 in Neuruppin/Brandenburg geboren, war beinahe 60 Jahre alt, als sein Romanschaffen mit dem historischen Roman »Vor dem Sturm« 1878 einsetzte. Der Weg dorthin war lang und führte Fontane vom Apothekerberuf über journalistische Tätigkeiten schließlich zu seinen großen realistischen Zeit- und Gesellschaftsromanen. Fontane starb am 20. September 1898 in Berlin.

2Trud und Emrentz


In den Gärten war alles still, und doch waren sie belauscht worden. Eine schöne, junge Frau, Frau Trud Minde, modisch gekleidet, aber mit strengen Zügen, war, während die beiden noch plauderten, über den Hof gekommen und hatte sich hinter einem Weinspalier versteckt, das den geräumigen, mit Gebäuden umstandenen Mindeschen Hof von dem etwas niedriger gelegenen Garten trennte. Sechs Stufen führten hinunter. Nichts war ihr hier entgangen, und die widerstreitendsten Gefühle, nur keine freundlichen, hatten sich in ihrer Brust gekreuzt. Grete war noch ein Kind, so sagte sie sich, und alles, was sie von ihrem Versteck aus gesehen hatte, war nichts als ein kindisches Spiel. Es war nichts und es bedeutete nichts. Und doch, es war Liebe,die Liebe, nach der sie sich selber sehnte, und an der ihr Leben arm war bis diesen Tag. Sie war nun eines reichen Mannes ehelich Weib; aber nie, so weit sie zurückdenken mochte, hatte sie lachend und plaudernd auf einer Gartenbank gesessen, nie war ein frisches, junges Blut um ihretwillen in einen Baumwipfel gestiegen und hatte sie dann kindlich unschuldig umarmt und geküsst. Das Blut stieg ihr zu Kopf, und Neid und Missgunst zehrten an ihrem Herzen.

Sie wartete, bis Grete wieder diesseits war, und ging dann raschen Schrittes über den Hof auf Flur und Straße zu, um nebenan ihre Muhme Zernitz, des alten Ratsherrn Zernitz zweite Frau und Valtins Stiefmutter, aufzusuchen. In der Tür des Nachbarhauses traf sie Valtin, der beiseitetrat, um ihr Platz zu machen. Denn sie war in Staat, in hoher Stehkrause und goldener Kette.

»Guten Tag, Valtin. Ist Emrentz zu Haus? Ich meine deine Mutter.«

»Ich denke, ja. Oben.«

»Dann geh hinauf und sag ihr, dass ich da bin.«

»Geh nur selbst. Sie hat es nicht gern, wenn ich in ihre Stube komme.«

Es klang etwas spöttisch. Aber Trud, erregt wie sie war, hatte dessen nicht acht und ging, an Valtin vorüber, in den ersten Stock hinauf, dessen große Hinterstube der gewöhnliche Aufenthalt der Frau Zernitz war. Das nach vorn zu gelegene Zimmer von gleicher Größe, das keine Sonne, dafür aber viele hohe Lehnstühle und grün-verhangene Familienbilder hatte, war ihr zu trist und öde. Zudem war es das Wohn- und Lieblingszimmer der ersten Frau Zernitz gewesen, einer steifen und langweiligen Frau, von der sie lachend als von ihrer »Vorgängerin im Amt« zu sprechen pflegte.

Trud, ohne zu klopfen, trat ein und war überrascht von dem freundlichen Bilde, das sich ihr darbot. Alle drei Flügel des breiten Mittelfensters standen auf, die Sonne schien, und an dem offenen Fenster vorbei schossen die Schwalben. Über die Kissen des Himmelbetts, dessen hellblaue Vorhänge zurückgeschlagen waren, waren Spitzentücher gebreitet, und vom Hofe herauf hörte man das Gackern der Hühner und das helle Krähen des Hahns.

»Ei, Trud«, erhob sich Emrentz und schritt von ihrem Fensterplatz auf die Muhme zu, um diese zu begrüßen. »Zu so früher Stunde. Und schon in Staat! Lass doch sehen. Ei, das ist ja das Kleid, das du den Tag nach deiner Hochzeit trugst. Wie lange ist es? Ach, als ich dir damals gegenübersaß, und Zernitz neben mir, und die grauen Augen der guten alten Frau Zernitz immer größer und imme