: Ilse Gräfin von Bredow
: Des Hauses Ehr ist Gastlichkeit
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104008844
: 1
: CHF 9.00
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: Anthologien
: German
: 272
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Bei Ilse Gräfin von Bredow ist man gern zu Besuch, denn für beste Unterhaltung ist gesorgt. Mit unnachahmlichem Humor erinnert sie sich an die Erlebnisse mit Gästen in ihrer Kindheit auf dem Land in der Mark Brandenburg. Denn dort, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagten, waren Besucher eine willkommene Abwechslung, die geradezu herbeigesehnt wurde. Doch ob Kinder aus der Stadt, die in die Sommerfrische geschickt wurden, oder erwachsene Verwandte und Bekannte, schließlich hat man sie auch immer gern wieder gehen sehen. Denn bekanntlich bleibt ein Gast wie Fisch nicht länger als drei Tage frisch. Aus ihrem großen Reservoir an komischen und spannenden Geschichten hat die Autorin für diesen Band die schönsten zum Thema Gastfreundschaft ausgewählt.

Ilse Gräfin von Bredow wurde 1922 in Teichenau (Schlesien) geboren und wuchs mit zwei Geschwistern auf einem Forstgut in der Mark Brandenburg auf. Kurz vor Kriegsende floh die Familie nach Niedersachsen. Die Autorin arbeitete freiberuflich für Zeitungen und Magazine und schrieb Reportagen und Kurzgeschichten. Ihr erstes Buch ?Kartoffeln mit Stippe? war ein sensationeller Erfolg. Seitdem sind zahlreiche Bücher erschienen, alle im Scherz Verlag. Ilse Gräfin von Bredow starb am 20. April 2014 in Hamburg.

1Das Kusinchen


Vaters Gefühle gegenüber seinem Schwager waren zwiespältig. »Der gute Karl weiß nicht nur alles, er weiß auch alles besser«, schimpfte er gern. Die beiden kabbelten sich oft, was Onkel Karl jedoch nicht hinderte, allein oder mit der Familie häufig mal eben von seinem zwei D-Zugstunden entfernten Gut »auf einen Sprung« zu uns zu kommen.

Uns Kindern war Onkel Karl ziemlich gleichgültig. Wir liebten Tante Sofie, und wir hassten unsere gleichaltrige Kusine Elisabeth.

Klein-Didi, wie sie von ihrem Vater zärtlich genannt wurde, war ein rechtes Goldkind. Sie hatte seidiges, blondes Haar, und ihre Haut verdunkelte sich in der Sommersonne nicht wie bei uns zu einem schmutzigen Braun, sondern behielt bis in den Winter hinein einen warmen Honigton. Teure Ballettstunden hatten dafür gesorgt, dass ihre Bewegungen anmutig und geschmeidig waren. Sie liebte es, sich wohlgefällig im Spiegel zu betrachten, sich vor ihm hin und her zu wenden und ihr Körperchen wie Knete zu streicheln und zu betasten.

Wir waren froh, wenn wir von den Erwachsenen in Ruhe gelassen wurden. Sie aber trieb sich mit Vorliebe bei ihnen herum und war ganz Ohr, wenn uralte Familiendramen neu aufgebacken wurden. Vater mochte es nicht, wenn man ihm zu nahe auf den Pelz rückte. Er machte deshalb jedesmal unwillkürlich eine scheuchende Bewegung, als wollte er eine lästige Katze verjagen, wenn sie sich zwischen ihn und ihren Vater auf das Sofa quetschte. Onkel Karl war dagegen ganz vernarrt in seine Tochter. »Na, mein Mäuschen«, schnurrte er, und Didi warf ihr langes, offenes Goldhaar zurück, so dass es Vater unangenehm in der Nase kitzelte, und piepste: »Ach, Papilein.«

Für uns war sie eine scheinheilige, verlogene, boshafte Hexe, raffiniert genug, uns Geschwister im Handumdrehen gegeneinander aufzuhetzen, so dass wir den verdutzten Eltern unerwartet den Anblick dreier sich streitender, prügelnder kleiner Idioten boten, während Didi selbst, ein Bild süßer Harmonie, still in einer Ecke saß und, vor sich hinsummend, eifrig malte. Meinen sonst schon recht vernünftigen Bruder Billi verhexte sie beim Angeln derart, dass er wie ein Irrer lachte, anstatt ihr eine zu kleben, als sie die gefangenen Plötzen und Barsche wieder zurück in den See warf. Ja, er entblödete sich nicht, ihr dabei noch zu helfen, während Bruno, der Krepel, vor Wut über so viel Schwachsinn fast einen seiner epileptischen Anfälle bekam.

Vor Didis Habgier war nichts sicher. Sie klaute mir meine gläserne Lieblingsmarmel, in die ein weißes Lamm eingeschlossen war, und köpfte unsere schönsten Papierpuppen, ohne dass wir ihr etwas nachweisen konnten. Ihr letzter Besuch bei uns im Forsthaus war besonders unerfreulich gewesen. Die schlimmste Gemeinheit hatte sie sich noch kurz vor ihrer Abreise geleistet. Vater war mit Tante Sofie ins Kinderzimmer gekommen, als sie sofort losquengelte: »Mami, Omamis Spieluhr.«

»Ja, ja, das Leben ist voller Erinnerungen«, sagte Tante Sofie, die herzensgute, ohne zu begreifen, worauf ihre Tochter eigentlich hinauswollte.

»Aber sie gehört mir«, rief das Goldkind. »Kannst Paps fragen.«

»Das ist mir neu«, sagte Tante Sofie.

»Vera hat sie von ihrer Großmutter bekommen. Ich war selbst dabei, als Mutter sie ihr geschenkt hat«, sagte Vater.

»Aber natürlich, Alfred«, beschwichtigte ihn Tante Sofie. »Die Sache ist doch nicht der Rede wert.«

Aber für Didi war sie es durchaus. Sie steckte sich hinter ihren Vater, und Onkel Karl hatte eine kleine Aussprache mit Tante Sofie, die daraufhin mit unglücklichem Gesicht zu Vater ging. Er kämmte mir gerade das Haar, was er gern tat, und sah sie erstau