Umkämpfte Wälder Die Geschichte einer ökologischen Reform in Deutschland 1760-1860
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Richard Hölzl
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Umkämpfte Wälder Die Geschichte einer ökologischen Reform in Deutschland 1760-1860
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Campus Verlag
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9783593410296
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Campus Historische Studien
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1
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CHF 48.00
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Neuzeit bis 1918
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German
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551
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Wasserzeichen/DRM
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PDF
Nachhaltigkeit hat Konjunktur. Die Entstehung dieses inhaltlich umstrittenen Begriffs ist eng mit der Geschichte der Wälder verbunden. Richard Hölzl zeigt, wie aufgeklärte Gelehrte nach 1750 eine ökologische Waldreform und eine neue Politik nachhaltiger Ressourcennutzung entwickelten. Er erzählt von Bauern und Richtern, von Förstern und Frevlern, die darum kämpften, ob und wie der neue Wald entstehen sollte. In einer einzigartigen Verbindung von Umwelt- und Wissensgeschichte, von Kriminalitäts-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte wird hier die Geschichte des Waldes neu geschrieben.
Richard Hölzl, PD Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Provenienzforscher am Museum Fünf Kontinente in München.
Einleitung: Der Philosoph und die Bauern von Blachendorf Die Bauern von Blachendorf waren nicht einverstanden. Das war eines der größeren Probleme für das Vorhaben des Philosophen Franz von Baader (1765-1841). Als der bayerische Oberbergrat 1803 bei Kurfürst Max IV. Joseph und dessen erstem Minister Maximilian Graf Montgelas die Genehmigung einer neuen Glashütte im Bayerischen Wald beantragte, war ihm nicht klar, dass er der Zustimmung der Bauern überhaupt bedurfte. Immerhin war sein Projekt eine Pionierleistung, die dem Land und dem Gemeinwohl große Vorteile versprach. Baader hatte ein neues Verfahren zur Glasherstellung entwickelt, bei dem große Teile der normalerweise nötigen Pottasche durch Glaubersalz ersetzt wurden. Die neue Technologie versprach eine fünfzigprozentige Holzersparnis bei guter Glasqualität - zu einer Zeit, in der akuter Holzmangel in greifbare Nähe gerückt zu sein schien. Als Standort für seine Glashütte wählte Baader den 'Lamer Winkel'. In dieser abgelegenen Gegend im Bayerischen Wald, an der böhmischen Grenze, erwartete sich der Neuunternehmer genügend Holzreserven, um sein Vorhaben ausführen zu können. Die Glashütte Lambach sollte aus zwei im Staatsbesitz befindlichen Wäldern, dem Lamer und dem Blachendorfer Wald, versorgt werden. Baader wollte sie aufkaufen und führte gute Gründe an: Der 'bisherige reine Ertrag' dieser Wälder sei 'beinahe für nichts zu rechnen'. Die 'materia ligni [habe] einen wirklich so niedrigen Werth [...], daß es wohl kein Wunder ist, wenn eine theils werthlose, theils herrenlose Sache so schlecht verwaltet ist, und die öffentlichen Waldungen dieser Gegend statt kultivirt, nur immer mehr devastirt worden sind.' Der 'Vieheintrieb, Mangel an Säuberung und besonders der mit dem Preise der Pottasche nur frecherwerdende, holzvertilgende Aschenbrand' hätten die Wälder schlimm zugerichtet. Diese 'Verödung' sei umso nachteiliger, als der Mittelgebirgsboden nur für Wald geeignet sei. Baader versprach hingegen den Wald 'nachhaltig' und nach allen Regeln der aufgeklärten Forstwirtschaft zu nutzen. Es liege ja in seinem 'eigenen Interesse', dass das Holz 'jährlich geschlagen und jährlich nachgezogen' werde. Dass die Wälder zur 'Holzzucht kultivirt, und daß die Glaubersalzfabrication eingeführt' werde, sei schließlich im Interesse des Gemeinwohls. Noch im selben Monat, im Januar 1805, genehmigte Graf Montgelas Baaders Kaufgesuch. Allerdings sollten die Waldflächen genau vermessen und die Ansprüche der lokalen Bevölkerung ermittelt werden. Hier begannen die Probleme für Baader. Als hoher Beamter, der im wichtigsten Reformgremium der Münchner Zentralregierung, der General-Landesdirektion, für Bergbau zuständig war, als außerordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, als anerkannter Chemiker, Arzt und Spross einer bekannten Münchner Gelehrtenfamilie konnte Baader auf das Wohlwollen des Kurfürsten zählen. Dieser war auch sofort bereit, ihm die gewünschten Wälder billig zu überlassen und die gesetzlich vorgeschriebene öffentliche Ausschreibung bzw. Versteigerung zu umgehen. Das eigentliche Hindernis waren die Blachendorfer Bauern. Wie sich schnell herausstellte, beanspruchten sie im Blachendorfer Wald das Recht, ihr Vieh zu weiden. Baader war der Meinung, 'die wenigen Bauern im Dorfe Blachendorf, welche ein Weiderecht in diesem Wald behaupten', wären leicht 'zu entschädigen'. Die Blachendorfer schlugen jedoch, wie die zuständige Behörde berichtete, 'alle dießfallsige Ausgleichung' aus. Baader konnte den Blachendorfer Wald nicht in Besitz nehmen. Auf seine vielfachen Beschwerden hin stellte der König im Sommer 1807 klar, dass der Blachendorfer Wald nicht übergeben werden dürfe. Die Gemeinde Blachendorf habe ein 'im Jahre 1665 vererbrechtetes Weiderecht', und solange sie 'allen gütlichen Abfindungs-Verhandlungen sich entgegensetze', könne der betreffende Wald nicht verkauft werden. Am Rechtsanspruch der Bauern gab es nichts zu deuteln. Noch dazu wurden sie von den Gerichts- und Forstbeamten vor Ort in ihrer Argumentation unterstützt, 'ohne den fortdauernden Genuß der Weidenschaft in jenem gebirgigten waldreichen Lokal sich nicht in ihrem Wohlstande erhalten' zu können. Dagegen halfen auch immer neue Pr
Inhalt
8
Einleitung: Der Philosoph und die Bauern von Blachendorf
12
Erster Teil: Die Erfindung des modernen Waldes (1760–1800)
38
I. Ökologische Erzählungen im Diskurs um die Forstreform
42
1. Von »Barbarey« und »Kultur«: Fortschritt und Zivilisierungsmission
45
2. »Daß sich unsere Großväter der Natur allzu viel überließen«: Ordnungen der Natur
49
3. »Die Nebel der Vorurtheile zu zerstreuen…«: Der aufgeklärte Blick auf die Landbevölkerung
55
4. Eine Anthropologie des Eigennutzes: Die liberale Option
61
5. Vom Forstregal zur Forstwissenschaft: Die staatliche Option
65
6. Holzmangel und seine Verursacher: Legitimitätskonstruktionen
69
7. Die Entdeckung der Zukunft: Nachhaltigkeit als Lösung
106
II. Forstwissenschaft und Aufklärung: Institutionen, Akteure und Medien der Wissensproduktion
119
1. Orte der Rezeption eines europäischen Diskurses
119
2. Forstreform als Karrrierebaustein: Kommunikationsstrategien
128
3. Publizistische Initiativen der Zentralverwaltung
131
4. Forstreform jenseits der Institutionen: Ein gelehrter Gutsherr
133
5. Medien der Wissensproduktion: Die Churbaierischen Intelligenzblätter
134
III. Institutionalisierung der Forstreform
140
1. Organisation der Verwaltung
141
2. Reformversuche: Das 18. Jahrhundert
142
3. Reformzeit ab 1780
145
4. Ausbildung des Forstpersonals
157
Zweiter Teil: Forstreform und ländliche Bevölkerung (1800–1860)
168
IV. Kampf um das Waldrecht – Forstreform im Bayerischen Wald
168
1. Waldreform im Alltag: Ein Perspektivenwechsel
174
2. Grenzkonflikte und Forstrechtsablösungen
177
3. »Seit unfürdenklichen Zeiten …«: Dorfgemeinden und Forstreform
185
4. Forstfrevel im Gerichtssaal
233
5. Waldprivatisierung und ländliche Lebenswelten
249
V. Auf dem Weg zur Revolution – alltäglicher Frevel und gewaltsamer Protest der »Spessart-Gemeinden«
268
1. Der Spessart als frühindustrieller Försterwald
270
2. Gegenwelt: Waldfrevel als Antidisziplin
301
3. Lebensbedingungen im Spessart des 19. Jahrhunderts
305
4. Die Sprache des Protests: Frevelzahlen und -semantiken
317
5. Die Macht des Staates: Strategien der Kontrolle im Vormärz
358
6. Forstreform und Revolution (1848/49)
378
Dritter Teil: Forstreform und Öffentlichkeit (1800–1860)
416
VI. Belletristische und politische Publizistik
416
1. »Der Krieg um den Wald«: Belletristik
416
2. Politische und staatswissenschaftliche Texte
423
VII. Expertendiskurs und bürgerliche Öffentlichkeit
445
1. Forstpolizei und Forstschutz: Neue Subdisziplin
446
2. Wirtschaftsziele: Was bleibt von der Nachhaltigkeit?
462
3. Neue Legitimationsquellen: Schutzwald – Erholungswald
474
Fazit
490
Dank
500
Quellen und Literatur
502
1. Archivalien
502
2. Gedruckte Quellen
503
3. Literatur
509
Abbildungen und Diagramme
530
Abkürzungen
543
Sachregister
544
Personenregister
550