: Thomas Gerlinger, Susanne Kümpers, Uwe Lenhardt, Michael T. Wright
: Thomas Gerlinger, Susanne Kümpers, Uwe Lenhardt, Michael T Wright
: Politik für Gesundheit Fest- und Streitschriften zum 65. Geburtstag von Rolf Rosenbrock
: Hogrefe AG
: 9783456948270
: 1
: CHF 27.40
:
: Allgemeines
: German
: 407
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Die Frage, wie Politik die Gesundheit verbessern kann, wird kontrovers diskutiert. Der vorliegende Band umfasst rund vierzig Beiträge zu den Themen Prävention und Gesundheitsförderung, Krankheitsversorgung, gesundheitliche Ungleichheit und Gesundheitspolitik.
"New Public Health zwischen»Sozialemanzipation« und»Sozialkompensatorik«(S. 28-29)

1. Vom Scheitern der Medizinexpansion zur Gesundheitsförderung


Als sich die WHO in den 70er Jahren auf ihre 1946 beschlossene Gründungsdefinition von Gesundheit– vollkommenes physisches, psychisches und soziales Wohlbefinden– rückbesann, geschah dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines problematisch gewordenen Status der kurativen Medizin. Im Fortschrittsglauben der 50er und 60er Jahre spielte die weltweite Expansion der»Western Medicine« eine wichtige Rolle. Zentraler Bestandteil der Entwicklungshilfe in Asien, Afrika und Lateinamerika war es, den Aufbau moderner Kliniken nach westlichem Standard voranzutreiben.

Allerdings wurde rasch deutlich, dass die infrastrukturellen,ökonomischen und sozialen Voraussetzungen für das Funktionieren dieser Einrichtungen– vor allem aber für deren bevölkerungsweite Zugänglichkeit– vielfach gar nicht gegeben waren. Dessen ungeachtet wurde im Zuge des medizinischen»Fortschritts« das System der traditionellen Heiler, wie es gerade in Afrika große Bedeutung hatte, mehr und mehr diskreditiert und teilweise sogar bekämpft. Ohne dass die»neue« Medizin den Kranken in ihrer Mehrheit hätte helfen können, wurden so bestehende Strukturen der gesundheitlichen Versorgung zerstört.

Dieses Fiasko führte zur (Re-) Orientierung auf Basisgesundheitsdienste, in denen die kulturelle Verankerung der Heiler und die Erkenntnisse der Medizin zusammen geführt werden sollten (Lenz/ Haag 1981). In der Alma-Ata Deklaration von 1977 wurde dieser Situation erstmals umfassend mit der Strategie des Primary Health Care (PHC) Rechnung getragen. PHC orientiert darauf, bei der Gesundheitssicherung immer zuerst dem einfacheren bzw. logisch vorgelagerten Prinzip zu folgen: Selbsthilfe vor Fremdhilfe, präventiv vor kurativ, ambulant vor stationär.

Gesundheit, so ein weiterer Grundgedanke, sollte nicht von oben geplant und verordnet, sondern von den Menschen selbst, ausgehend von ihren tatsächlichen Bedürfnissen, entwickelt werden. Auch in Industrieländern wie Deutschland traten die problematischen Seiten einer extrem teuren, die Subjektivität der Kranken ignorierenden und den vorherrschenden chronisch-degenerativen Erkrankungen oft machtlos gegenüberstehenden Hochleistungs- und Apparatemedizin immer mehr zutage (Franzkowiak/Sabo 2003). Die wachsende Unzufriedenheit mit dem bestehenden Versorgungssystem brachte u.a. eine Vielzahl von Selbsthilfegruppen hervor und fand ihren deutlichsten Ausdruck Anfang der 80er Jahre in den Berliner und Hamburger Gesundheitstagen, auf denen zehntausende Teilnehmer/innen Forderungen nach alternativen Konzepten der Gesundheitssicherung diskutierten (Dersee/Dupke 1981; Huber 1998)."
Inhalt6
Für Rolf Rosenbrock10
Modernisierung und Gesundheit: Chance in der Krise?15
1. Einleitung15
2. Entwicklung der Lebenserwartung und Gesunden Lebensjahre15
3. Theoretische Zugänge zum Phänomen Modernisierung16
4. Modernisierung und Gesundheitsentwicklung24
5. Ein kurzer Ausblick27
Literatur27
New Public Health zwischen »Sozialemanzipation« und »Sozialkompensatorik«29
1. Vom Scheitern der Medizinexpansion zur Gesundheitsförderung29
2. Gesundheitsförderung als Konzept der Bewegungen30
3. AIDS als Anwendungsfall31
4. Gesundheitsförderung als politisches Konzept32
5. Präventionsgesetz: Vision oder Albtraum?33
6. Perspektive rechtlicher Regulierung?35
7. Sozialer Wandel und sozialkompensatorischer Anspruch36
8. Respekt statt Zwangsbeglückung: Der Diversity-Ansatz37
9. Sozialemanzipation durch Gesundheitsförderung? Der Community-Ansatz38
10. Bewegung für Gesundheit39
Literatur40
Auf dem Weg zu »Health in all Policies«: Was kann die soziallagenbezogene Gesundheitsförderung von der Umweltpolitik lernen?42
Einleitung42
Gesundheit und Gesundheitsförderung43
Umwelt Mainstreaming und Health Mainstreaming47
Fazit und Schlussfolgerungen51
Literatur52
Gender – kein Thema für den Mainstream der Public Health-Forschung?54
1. Geschlechterfragen spielen in den Gutachten zur Entwicklung im Gesundheitswesen keine relevante Rolle55
2. Die Gesundheitsberichterstattung beschreibt lediglich Unterschiede zwischen den Geschlechtern, analysiert sie aber nicht56
3. Genderfragen werden als reine Frauengesundheitsfragen verkannt59
4. Männergesundheit ist noch kein Public Health Forschungsthema60
5. Der gesamte Public Health Diskurs bleibt seltsam geschlechtslos61
6. Wie kann mehr Geschlechtergerechtigkeit erreicht werden?62
Literatur64
Lebenslauf, Arbeit und Gesundheit66
1. Lebenszeit und Arbeitszeit66
2. Arbeit und Biographie – »Riskierte Leiblichkeit« im alten und neuen kulturellen Modell68
3. Gesundheit als privates und öffentliches Gut70
4. Arbeit, Gesundheit und Sozialpolitik71
5. Arbeit, Gesundheit und Lebenslauf72
Literatur74
Public Health und Pflegewissenschaft – zwei neue gesundheitswissenschaftliche Disziplinen76
Etablierung als wissenschaftliche Disziplin76
Verhältnis von Wissenschaft und Praxisentwicklung83
Resümee89
Literatur92
Evidenzbasierung in der Gesundheitsförderung? Anmerkungen aus Sicht der Evaluationsforschung94
1. Einleitung94
2. Definitionen von und Definitionshoheit über Evidenzbasierung96
3. Zum Stand der Evaluation der Gesundheitsförderung98
4. Fazit101
Literatur102
Keynes wiederentdecken und weiterentwickeln: Theoretiker des Kasinokapitalismus105
1. Die zerstörerische Macht des Kasinokapitalismus106
2. Keynes vom Vulgärkeynesianismus befreien107
3. Ökonomie in der Liquiditätsfalle108
4. Herrschaft der Finanzmärkte109
5. Spekulationen im Kasinokapitalismus110
6. Lässt sich der Finanzmarktdominanz reduzieren?110
Literatur112
Gesundheitsreform: Welche Logik zählt?113
Qualität der Medizin114
Neue Versorgungsmodelle116
Bürger- und Patientenorientierung119
Schlussbetrachtung121
Literatur121
Die Enquete-Kommission zur GKV-Reform: Masterplan für die Gesundheitspolitik123
Parteipolitik und Sachverstand125
Aufgaben und Ziele von Reformen im Gesundheitswesen126
Präventionspolitik127
Ambulante kassenärztliche Versorgung127
Organisationsreform der GKV129
Literatur130
Warum und wieso ist Gesundheitspolitik ein Thema für Wissenschaft?132
Literatur143
Moral Hazard – Über die Irrelevanz eines theoretischen Konzepts für die Praxis des Gesundheitswesens144
Annahmen und Mythen144
Ursprung des Moral-Hazard-Theorems145
Zuzahlungen im Krankheitsfall146
Sozialschmarotzer im Freizeitpark148
Mangelnde Empirie149
Fazit152
Literatur153
Mythos »Jobmotor Gesundheitswesen«!?155
1. Was sind »Mythen« und welche Funktion haben sie?155
2. Euphorie über den »Jobmotor Gesundheitswesen«156
3. Wie sehen die Prognosen aus?159
4. Was fällt im »Jobmotor«-Diskurs unter den Tisch oder was treibt ihn an?161
5. Schlussfolgerungen164
Literatur165
Die hausärztliche Versorgung als Spielball der Politik166
1. Einleitung166
2. Strukturmerkmale der hausarztzentrierten Versorgung167
3. Erste politische Debatten um die hausarztzentrierte Versorgung169
4. Die Rolle des Deutschen Hausärzteverbandes172
5. Vertragsabschlüsse und ihre Wirkung174
6. Fazit und Ausblick175
Literatur175
Arzneimittel um jeden Preis?177
Im Herzen der Macht178
Viel Geld für nichts?178
Sind wir alle krank?179
Das Alter – eine Hormonmangelkrankheit?180
Je früher – desto besser?181
Kehrt die heroische Medizin zurück?181
Viel hilft viel?182
Unter Einfluss