MITTWOCH
Kapitel 1
Sommerstadt
Romeo saß bewegungslos zwischenPippi Langstrumpf undKalle Blomquist unter dem Tisch. Seine feinen Schnurrhaare zitterten kaum merklich, als er witternd die Nase in die Luft hob.
»Füller«, sagte Dags leise und eindringlich. »Wo ist der Füller, Romeo?«
Die schwarzen Knopfaugen der Ratte blitzten, während ihr nackter Schwanz unruhig über den Parkettboden schlug. Winzige Staubpartikel wirbelten auf und schimmerten im Sonnenlicht, das durch das hohe weiße Fenster fiel.
Dags hatte den Füller am Ende eines kunstvoll verschachtelten Labyrinths versteckt. Die Seitenwände der Gänge, die sich durch das ganze Zimmer erstreckten, bestanden aus aufgestapelten Büchern, Musikkassetten, CD-Hüllen und Comic-Alben. Romeo hatte bereits zwei erfolglose Anläufe unternommen, den Irrgarten zu durchqueren, und es sah nicht so aus, als wäre er dazu bereit, auch noch einen dritten Versuch zu starten. Er kratzte sich hinter den Ohren und zuckte zusammen, als aus dem Flur das Klingeln des Telefons ertönte.
»Füller«, wiederholte Dags ungeduldig. »Jetzt mach endlich! Ich hab dir das verdammte Ding schon mindestens zehnmal unter die Nase gehalten!«
Dagmars Vater hatte Romeo aus dem Labor mitgebracht, als die Ratte kaum sechs Wochen alt gewesen war, und ihn damit vor dem traurigen Schicksal seiner dort gezüchteten Artgenossen bewahrt, die als Versuchstiere für Krebsexperimente dienten. Dags hatte das kleine schwarzweiß gefleckte Knäuel vom ersten Augenblick an gemocht und Romeo hatte ihre Zuneigung ebenso rasch erwidert. Ihre gegenseitige Liebe war zum Ausgangspunkt einer Reihe von Experimenten geworden, von denen bisher leider keines zum Erfolg geführt hatte. Das einzige Kunststück, das Romeo beherrschte, bestand darin, sich auf die Hinterbeine zu stellen und seinen Oberkörper hin und her zu wiegen, wenn man ihm etwas zu fressen anbot. Dags fand, er wirke dabei ungefähr so graziös wie ein besoffener Balletttänzer.
Sie seufzte und beugte sich zu Romeo herab. Er sprang auf ihre rechte Hand, lief wieselflink den Arm hinauf und kuschelte sich, auf der Schulter angekommen, an ihren Hals. Vorsichtig balancierte sie über das Labyrinth hinweg zur Fensterbank, wo der Rattenkäfig stand, und hielt Romeo dabei einen Käsecracker unter die Nase.
Wiegen, wiegen, wiegen … Dann griffen die zierlichen Pfoten zu und ein Sprühregen aus Krümeln rieselte auf den Boden herab.
»Ich weiß, dass du nicht so blöd bist, wie du tust«, murmelte Dags und kraulte Romeo unter dem Kinn. »Irgendwann wird es klappen.«
Der Kopf ihrer Mutter erschien im Türspalt. »Gudrun ist am Telefon.« Sie ließ den Blick über das Chaos schweifen, das sich zu ihren Füßen ausbreitete. »Was veranstaltest du denn hier schon wieder?«
»Ich versuche Romeo dazu zu bringen, sich an einmal gesehene und benannte Gegenstände zu erinnern und sie dann unter erschwerten Bedingungen wiederzufinden.«
»Aha …« Frau Kreuzer runzelte die Stirn.
»Es ist vollkommen harmlos«, sagte Dags.
»Das hast du auch behauptet, als du letztes Jahr den Orientteppich im Arbeitszimmer mit deinem selbst entwickelten Fleckenmittel behandelt hast.«
»Falsche Formel«, verteidigte sich Dags schuldbewusst. Das Fleckenmittel hatte tiefe Löcher in den sündhaft teuren Teppich geätzt und ihr den dreimonatigen Verlust ihres Taschengelds beschert.
»Nun ja«, erwiderte Frau Kreuzer. »Ich hoffe, du findest unter diesen erschwerten Bedingungen alles wieder, was du in dem Labyrint