: Reinhard Maß
: Diagnostik der Schizophrenie
: Hogrefe Verlag GmbH& Co. KG
: 9783840922077
: 1
: CHF 19.40
:
: Psychologie
: German
: 148
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Die psychologische Diagnostik bei Schizophrenie ist im deutschsprachigen Raum nach wie vor ein vergleichsweise vernachlässigter Bereich. Dabei gibt es von der Früherkennung und Erstdiagnose über die qualitative und quantitative Statusdiagnostik, die Darstellung des Krankheitsverlaufs, die Prüfung von Therapieeffekten bis hin zur Differenzialdiagnostik eine Vielzahl verschiedener diagnostischer Problemstellungen von erheblicher klinischer Relevanz. Der Band liefert eine breite und aktuelle Übersicht über die Möglichkeiten und Grenzen der psychometrischen Diagnostik bei schizophren Erkrankten. Nach einem kurzen Abriss der historischen Entwicklung des Schizophreniekonzepts werden die Klassifikation und Abgrenzung der Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis in ICD-10 und DSM-IV-TR beschrieben und miteinander verglichen. Es folgt eine Beschreibung und kritische Würdigung der wichtigsten Selbst- und Fremdbeurteilungsinstrumente. Dabei werden ökonomisch günstige Screeningverfahren ebenso berücksichtigt wie zeitaufwendige strukturierte Interviews. In zahlreichen anschaulichen Fallbeispielen werden typische psychodiagnostische Fragestellungen sowie häufig damit verbundene Probleme und mögliche Lösungsstrategien erörtert.
"6 Praktische Anwendungen und Fallbeispiele(S. 94-95)

Bei schizophrenen Erkrankungen kann es sehr unterschiedliche diagnostischen Fragestellungen geben, die bei der Auswahl eines geeigneten Instruments zu berücksichtigen sind. Soll ermittelt werden, ob die diagnostischen Kriterien für eine Schizophrenie zum gegenwärtigen Zeitpunkt erfüllt werden oder irgendwann früher erfüllt wurden? Soll– bei gesicherter Diagnose– der aktuelle psychopathologische Status erhoben werden?

Ist eine Querschnitt- oder Längsschnittbeschreibung beabsichtigt? Werden akutpsychotische Patienten oder klinisch unauffällige Personen untersucht? Nicht jedes psychometrische Instrument ist für jedes dieser Ziele gleichermaßen geeignet, die falsche Auswahl kann zu nicht interpretierbaren Ergebnissen oder gar zu Trugschlüssen führen. Dieses Kapitel beleuchtet verschiedene besonders wichtige oder kritische Aspekte des diagnostischen Prozesses und gibt Hinweise auf die Verwendung der geeigneten diagnostischen Instrumente bzw. Strategien. Zur Illustration sind Falldarstellungen beigefügt, die auf realen Patientengeschichten basieren.

6.1 Erstdiagnose


Es geht hierbei um die Frage, ob es sich bei einer gegebenen psychischen Störung um eine Schizophrenie handelt oder nicht. Gerade bei Ersterkrankungen sollte hier mit besonderer Sorgfalt vorgegangen werden. Aber auch bei Patienten, die mit vordiagnostizierter Schizophrenie und längeren Krankheitsverläufen in die Behandlung kommen, sollte die Möglichkeit einer falschpositiven Fehldiagnose nicht ausgeschlossen werden, sofern das aktuelle psychopathologische Bild unklar ist. In den meisten Fällen ist bei einer akuten psychotischen Dekompensation eine stationär-psychiatrische Behandlung unumgänglich, die aufgrund von Selbst- oder Fremdgefährdungsrisiken zuweilen auch gegen den Willen des Patienten erfolgen kann.

Die Diagnose einer Schizophrenie darf nur gestellt werden, wenn die diagnostischen Kriterien geprüft wurden. Im deutschen Gesundheitssystem ist die Verwendung der ICD-10 obligatorisch. Die Kriterien für Schizophrenie nach ICD-10 werden z. B. mit dem AMDP-System (siehe Kap. 4.1.5), dem CIDI (siehe Kap. 4.1.10), dem IRAOS (siehe Kap. 4.1.7) oder den IDCL (siehe Kap. 4.1.6) systematisch erfasst; das SKID-I (siehe Kap. 4.1.9) gehört zwar zum internationalen Standard, zielt aber auf DSM-IV-Diagnosen. Das DIA-X ist prinzipiell auch zur Diagnosestellung geeignet, weist allerdings bei Psychosen gewisse Reliabilitätsprobleme auf (siehe Kap. 4.1.11).

Das„Praecoxgefühl“ (Rümke, 1941), mit dem geradeältere, erfahrene Kliniker zuweilen auch noch heute die Diagnose einer Schizophrenie begründen möchten, ist ebenso verführerisch wie fragwürdig. Gemeint ist ein Eindruck intuitiver Evidenz, der bei einem Beobachter im Kontakt mit einer an Schizophrenie erkrankten Person aufkommen soll. Eine auf langjähriger Berufserfahrung begründete Intuition ist zweifellos nützlich; es darf daraus jedoch nicht mehr als eine– dann zu prüfende– diagnostische Hypothese folgen, keineswegs aber die Diagnose selbst.

Ein professionelles Vorgehen erfordert, nicht im Vagen und Subjektiven zu bleiben, sondern nach objektivierbaren Symptomen zu suchen. Finden sich keine, so ist bis zum Beweis des Gegenteils die Hypothese zu verwerfen. Die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens ist spätestens offenkundig geworden, seit in den bekannten US-UK-Studien (z. B. Gurland et al., 1969, 1970) erhebliche Diskrepanzen der britischen vs. amerikanischen Psychiatrie bei der diagnostischen Zuordnung einiger der häufigsten psychischen Krankheitsbilder wie Schizophrenie und affektiven Störungen aufgezeigt wurden. Diese Erfahrungen führten zu Bemühungen um eine internationale Vereinheitlichung der Diagnostik, die ihren Niederschlag in den modernen Diagnosesystemen gefunden haben."
Inhaltsverzeichnis6
1 Einführung10
2 Zur Entwicklung des Schizophreniekonzepts12
3 Diagnostische Kriterien in den modernen Klassifikationssystemen15
3.1 ICD-1015
3.2 DSM-IV-TR21
3.3 Synopse der Schizophreniediagnose in ICD-10 und DSM-IV-TR24
3.4 Prävalenz, Epidemiologie, Ätiologie und Verlaufsformen der Schizophrenie25
3.5 Das Prodrom der Schizophrenie29
4 Beschreibung der diagnostischen Verfahren31
4.1 Fremdbeurteilungsverfahren31
4.2 Selbstbeurteilungsverfahren79
5 Körperliche Untersuchungen bei Schizophrenie93
6 Praktische Anwendungen und Fallbeispiele95
6.1 Erstdiagnose95
6.2 Darstellung des aktuellen psychopathologischen Befundes102
6.3 Verlaufsbeschreibung109
6.4 Früherkennung117
6.5 Differenzialdiagnostik – Was Schizophrenie ist127
7 Schlussbemerkung137
Literatur138