Latin Lovers – damals und heute
Diesen hierhabe ich mir ausgesucht. Nach so viel geradezu staubtrockener Geruhsamkeit mit Dirk will ich Lachen und Flirten. Und doch: Was um alles in der Welt tue ich hier?, denke ich, während ich in einer netten Trattoria auf Mario warte.
Ich treffe mich mit einem Pizzeriabesitzer zwecks romantischer und vielleicht sexueller Spielereien.Pizzapapa hatte sich online als lustiger und lustbetonter, sorgenfreier, geschiedener Mann (drei erwachsene Kinder) mit einem sehr gut gehenden Geschäft vorgestellt. Er suchte eine attraktive, lustige, unabhängige, warmherzige, sexy Frau zwischen fünfundvierzig und fünfundsechzig, die auch »sehr offen für Leidenschaft« ist.
Das alles bin ich, oder kann es zumindest sein! Er bot Erotik und Pizza satt sowie romantische Reisen in seine Heimat Italien. Sein Foto zeigte einen sehr gut aussehenden, leicht eitel, aber freundlich dreinblickenden Mann Ende fünfzig, der irgendwo im Süden vor Weinranken saß.
Wahrscheinlich sein kleiner Palazzo in Siena, fantasierte ich.
Ich komme aus der Generation, für die Italiener Sonne, überschäumende Lebensfreude, Eis, Pizza und Spaghetti repräsentierten. Sie waren die ersten Gastarbeiter, die in den Fünfzigerjahren mitamore,O Sole Mio und geölten schwarzen Locken so manchem deutschen Fräulein mit Bienenkorbfrisur und spitz gestepptem Büstenhalter unterm engen Orlonpulli den Kopf verdrehten, weil sie ihr nachpfiffen und sie so unverhohlen lüstern anstarrten, wie es kein deutscher Mann gewagt hätte.
Wir fanden sie als Kinder faszinierend, ein bisschen wie Zigeuner oder Zirkusartisten. Jede Eisdiele, die irgendwie alle Venezia hießen, gehörte Italienern, und da ich Eisversessen war wie jedes kleine Mädchen damals, liebte ich eine Kugel Stracciatella – kein Deutscher konnte es aussprechen (und kann es immer noch nicht, wenn man genau hinhört) – mehr als jedes doofe Fürst-Pückler-Eis.
Oh ja, ich kann mir einen Lebensabend in Italien wunderbar mit einem Mario oder Giuseppe vorstellen, wo die alte, schwarz gekleidete Großmutter Pasta kocht, wenn seine Kinder mit den Enkel-Bambini zu Besuch kommen.
Perfekt, solange ich sonntags nicht in die Kirche muss, denke ich.
Mit diesem nostalgischen Bonus im Hintergrund hatte ich Mario angemailt, er hatte sofort mit einer charmanten Mail geantwortet, die ein klein wenig radebrechend klang. Aber das war amüsant. Man hängt ja am Italo-Klischee. Unser Flirtprogramm hatte also offiziell begonnen.
Mario gehören zwei Pizzerias, und er hat scheinbar viel Zeit – und verlässliche Angestellte, denn er ist viel online, wie ich sehe. Bald wagen wir den Vorstoß zum Chatten.
»Für was interessierst du dich, Mario?«, tippe ich ein, nachdem geklärt ist, dass er als Junge mit der Familie aus Neapel nach Berlin gekommen und geblieben war. »Sex«, ist die Antwort.
»Wer nicht?«