Flörten
Ich habe ein neues Lieblingswort.Gürültülü. Flüstern Sie’s mal nach. Wird Ihnen nicht ganz kitzlig um die Mundwinkel? Und jetzt ein wenig lauter.Gürültülü. Sofort wird der ganze Starenschwarm vor Ihrem Küchenfenster fröhlich pfeifend einfallen. Das geht in Ordnung.Gürültülü heißt nämlich»lärmig, krachig, laut«. Aber schön krachig halt. Um ein Haar wäre ich diesem Stimmbandtriller nie begegnet: wäre ich nicht nach Istanbul gezogen und hätte ich nicht angefangen, Türkisch zu lernen.
»Ja, Wahnsinn, du lernst Türkisch«, war die Reaktion vieler meiner Freunde, dahingemurmelt meist in einem Tonfall konsternierten Desinteresses, und da erst fiel mir auf, was der eigentliche Wahnsinn ist: dass ich bis dahin keinen Verwandten, Freund oder Bekannten hatte, der auch nur ein Wort Türkisch spricht. Ich kenne Leute, die sprechen Chinesisch, Koreanisch und Tibetisch. Ich kenne sogar einen, der spricht Dänisch. Aber Türkisch? Nicht einer. Dabei stamme ich aus einem Land, in dem drei Millionen Türken leben: Es wohnen in Deutschland mehr als dreimal so viele türkische Staatsbürger wie italienische und mehr als fünfzehnmal so viele wie spanische. Und doch stürzen sich meine Freunde in Spanisch- und in Griechischkurse, tun dem Italienischen mit ebensolcher Lust Gewalt an wie dem Portugiesischen – würde man ihnen jedoch eine Türkisch-Broschüre auf den Küchentisch legen: Man erntete nicht mehr als ein fassungsloses Grinsen. In meinem Sprachkurs in Istanbul saßen schon ein paar Deutsche, Engländer und Franzosen, wenn ich sie aber fragte, warum sie Türkisch lernten, dann erhielt ich fast ausnahmslos zwei Antworten: Wegen der Arbeit. Wegen meines/meiner Verlobten. Viele schickten dem einen Seufzer hinterher, der von der Größe ihres Liebesopfers künden sollte. Türkisch lernen aus Neugier, zum Vergnügen gar? Fehlanzeige.
Das muss und das wird sichändern.
Warum? Eigentlich sollte man denken, die guten Gründe lägen auf der Hand zu einer Zeit, da deutsche Magazine zur Verteidigung»unserer Türkei«, also des Teutonengrills an der türkischen Riviera, gegen den Einfall der russischen Horden blasen: Mehr als vier Millionen Deutsche machen mittlerweile jährlich in der Türkei Urlaub, doppelt so viele wie in Griechenland. Und werben unsere Turkologen nicht seit Jahrzehnten so unermüdlich wie unbemerkt mit dem Hinweis, es verschaffe einem die Meisterschaft des Türkischen einen wertvollen Vorsprung beim Erlernen des Uigurischen, des Kipschakischen, ja gar des Gagausischen? Reicht Ihnen nicht? Bitte sehr, diese Gründe fallen mir auf Anhieb ein:
Weil die Türkei in der Türkei ganz anders ist als die in unserem Kopf. Weil die Leute endlich erkennen würden, dass es noch ein, zwei, drei, viele andere Türkeien gibt. Also nicht bloß die der faschistischen Staatsanwälte, welche die besten Köpfe ihres Landes vor Gericht zerren. Und nicht bloß das in einer Zeitkapsel konservierte Ostanatolientum, welches das Türkenbild der meisten Menschen in Zürich, Wien und Berlin bestimmt (die vielen modernen Türken fallen ja leider nicht auf bei uns). Weil nicht nur das amerikanische Magazin»Newsweek« Istanbul für die»coolste Stadt Europas« hält. Weil ein Türke sich den Literatur-Nobelpreis erschrieben hat. Weil das Land die am schnellsten wachsende Wirtschaft des Kontinents hat. Weil die Türkei vielleicht bald mittendrin steht in Europa. Und zwar als dann größtes Volk.
»Weil man den Türken besser zum Freund hat denn zum Feind.« (Ergänzt ein türkischer Freund.)
Hier drei Argumente vom Fachmann. Es spricht: Christoph Neumann,Übersetzer von Orhan Pamuks»Schnee«.
»Du möchtest eine exotische Sprache lernen, sie soll aber doch mit lateinischen Buchstaben geschrieben werden? Bitteschön: Du hast die Wahl zwischen Albanisch, Baskisch, Maltesisch – und Türkisch.«
»Stell dir vor, du bist ein Marsmensch und landest auf der Erde. Du hast nur achtundvierzig Stunden Zeit, eine Sprache zu lernen. Absolut logisch soll sie sein, und mindestens ein Prozent der Weltbevölkerung soll sie sprechen. Ganz klar: Der Marsmensch wird Türkisch lernen.«
»Es ist die am wenigstenübersetzte ernstzunehmende Literatursprache. Und der türkische Roman kann so komisch sein. Ach, was gibt es da noch für Schätze zu entdecken.«
Schätze. Wer sich auf die Türkei einließe, der würde nicht nur feststellen, dass sie den schönsten Frauen Europas Heimat ist, er würde auch erkennen, dass die Melodie ihrer Sprache zu Unrecht einen schlechten Ruf genießt. Vielmehr fließt das Türkische aus dem Munde einer schönen Lehrerin gleich einem mit Edelsteinen besetzten Band aus Atlas. Und wer es spräche, der könnte diesen Frauen in einem kühnen Augenblick auch Verse wie diese ins Ohr flüstern:Meine schwarze Maulbeere, meine Vliesschwarze, meine Zigeunerin/Was hättest du mir alles noch sein können, meine Einzige/Meine lachende Quitte, mein weinender Granatapfel/Mein Weib, meine Stute, meine Frau. Ein Gedicht des Malers und Lyrikers Bedri Rahmi Eyübo?lu, das dieser vor mehr als fünfzig Jahren weinend seinen Gästen vortrug: Gewidmet war es seiner Geliebten, die mit einer Lungenentzündung darniedergelegen hatte. Der Maler hatte seine Bilder verschleudert, um ihr die teuren Medikamente zu kaufen. Es half nichts, sie starb. Seine Frau derweil, die angetraute, verließ ihn später, dann schrieb sie ihm diese Zeilen: Sie fühle sich, als ob ihr einer ein heißes Bügeleisen ins Blut gedrückt habe.
Vielleicht sollten Sie Türkisch aber ganz einfach deshalb lernen: weil es Spaß macht. Allein die vielenÖs undÜs mit denen Sie Ihre Mitspieler in Zukunft in die Scrabble-Hölle buchstabieren. Freunde des gespitzten Umlautmundes werden sich hier fühlen wie im Schlaraffenland und dürfen zudem jeden Morgen zum Weckruf des türkischen Hahns erwachen:»Ü-ürü-üüü!« Oder die Speisekarte: Auf der steht nicht einfach:»Gefüllte Aubergine«, auf der steht:»Der Imam ist in Ohnmacht gefallen.« Die Türken streiten sich bis heute, ob der gute Ma