: Patti Smith
: Just Kids Die Geschichte einer Freundschaft
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462301830
: 1
: CHF 10.00
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein autobiographisches Meisterwerk von Patti Smith, Ikone der Punk-Bewegung, Dichterin und Ausnahmekünstlerin Patti Smith führt uns in das New York der frühen Siebzigerjahre, in eine Ära, die für sie vor allem von der tiefen Freundschaft zu einem Menschen geprägt wird: dem später zu Weltruhm gelangten Fotografen Robert Mapplethorpe. Just Kids erzählt die bewegende Geschichte zweier Seelenverwandter, die für und durch die Kunst leben, und entwirft zugleich ein betörendes Bild einer revolutionären Epoche.Als Patti Smith und Robert Mapplethorpe sich im Sommer 1967 in New York kennenlernen, sind sie beide 20 und ohne einen Pfennig in der Tasche auf der Suche nach einem freien Leben als Künstler. Eine intensive Liebesgeschichte beginnt, die später in eine tiefe Freundschaft übergeht. Von Brooklyn ziehen sie ins Chelsea Hotel, wo Patti Smith Bekanntschaft macht mit Janis Joplin, Allen Ginsberg, Sam Shepard, Todd Rundgren, Tom Verlaine und vielen anderen Künstlern. Patti Smith taucht ein in die Welt der Rockmusik und wird zu einer der einflussreichsten und stilprägendsten Künstlerinnen des Jahrzehnts. Auch wenn sich ihre Wege zwischendurch trennen, bleiben Patti und Robert bis zu dessen Tod im Jahr 1989 eng verbunden.Just Kids, halb Elegie, halb Romanze, entwirft ein so noch nicht gesehenes Bild einer aufregenden Epoche und besticht durch die Offenheit, Wärme, den feinen Humor und die große sprachliche Kraft, mit der Patti Smith erzählt. Radikal, zärtlich und unverwechselbar eigen ist hier die Künstlerin Patti Smith als Schriftstellerin zu entdecken.Mit zahlreichen Abbildungen aus dem Privatarchiv von Patti Smith und Robert Mapplethorpe

Patti Smith ist Musikerin, Dichterin, Performance-Künstlerin, Malerin und Fotografin. Ihr erstes Album »Horses« mit einem Coverfoto von Robert Mapplethorpe schrieb Musikgeschichte.  2007 wurde sie in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen. 2010 erschien ihr Buch »Just Kids«, das in den USA mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde. Außerdem erschienen von ihr »Die Traumsammlerin«, »M Train«, »Hingabe«, »Im Jahr des Affen« und »Buch der Tage«.
Inhaltsverzeichnis

Just Kids


 

Es war heiß in der Stadt, aber ich trug immer noch meinen Regenmantel. Er gab mir Selbstvertrauen, während ich mir auf der Suche nach Arbeit die Füße wundlief und nichts vorzuweisen hatte als einen befristeten Fabrikjob, Rudimente eines nicht abgeschlossenen Studiums und eine tipptopp gestärkte Kellnerinnenuniform. Schließlich fand ich einen Job in einem kleinen italienischen Restaurant, Joe’s am Times Square. Als ich gerade mal drei Stunden nach Beginn meiner Schicht einem Gast ein ganzes Tablett Vitello Parmigiano auf den Tweedanzug kippte, wurde ich von meinen Pflichten entbunden. Weil mir klar war, dass ich als Kellnerin keine Zukunft hatte, ließ ich die nur leicht bekleckerte Arbeitskleidung mitsamt dem dazugehörigen Schuhwerk in einer öffentlichen Toilette liegen. Meine Mutter hatte sie mir geschenkt, eine weiße Uniform mit weißen Schuhen, und mir auf diese Weise ihre Hoffnung für mein Wohlergehen mitgegeben. Nun endeten sie als welke Lilien in einem weißen Waschbecken.

Als ich in die psychedelische Atmosphäre des St. Mark’s Place im East Village eintauchte, rechnete ich nicht damit, in eine Revolution zu geraten. Es herrschte eine diffuse, alarmierende Paranoia, ein Strom von Gerüchten, aufgeschnappten Gesprächsfetzen, Namen wie The Weathermen, White Panters, Black Power und The Electric Circus kündigten die bevorstehende Revolution an. Ich hockte einfach da und versuchte, aus allem schlau zu werden, in dichte Pot-Schleier gehüllt, was erklären könnte, warum meine Erinnerungen träumerisch-verschwommen sind. Ich kämpfte mich durch ein dichtes kulturelles Bewusstseinsnetz, von dessen Existenz ich nichts geahnt hatte.

Ich hatte in der Welt meiner Bücher gelebt, von denen die meisten im neunzehnten Jahrhundert geschrieben worden waren. Ich war darauf eingestellt, auf Parkbänken, in U-Bahn-Stationen und Friedhöfen zu schlafen, bis ich Arbeit gefunden hatte, aber mit dem ständigen nagenden Hunger hatte ich nicht gerechnet. Ich war ein dünnes Ding mit rasantem Stoffwechsel und gesundem Appetit. Romantizismus konnte meinen Nahrungsbedarf nicht stillen. Sogar Baudelaire musste essen. In seinen Briefen flehte er oft verzweifelt um Fleisch und Porter.

Ich brauchte einen Job. Ich war heilfroh, als ich in einer Filiale der Buchhandelskette Brentano im nördlichen Manhattan als Kassiererin eingestellt wurde. Ich hätte zwar lieber in der Lyrikabteilung gearbeitet, anstatt an der Kasse für Folkloreschmuck und Kunstgewerbe zu stehen, aber es machte mir Spaß, den Schmuck aus weit entfernten Ländern anzusehen: Berber-Armbänder, Muschelketten aus Afghanistan und ein juwelenbesetzter Buddha. Mein Lieblingsstück war eine schlichte Halskette aus Persien. Sie bestand aus zwei emaillierten Metallplättchen an dicken schwarz-silbernen Kordeln, wie ein sehr altes, exotisches Skapulier. Sie kostete achtzehn Dollar, was mir damals wie ein Vermögen erschien. Wenn nicht viel los war, nahm ich sie manchmal aus der Vitrine, fuhr mit dem Finger über die eingeritzten Schriftzeichen in der violetten Oberfläche und fantasierte mir Legenden über ihre Herkunft zusammen.

Kurz nachdem ich bei Brentano angefangen hatte, kam der Junge in die Buchhandlung, den ich in Brooklyn flüchtig kennengelernt hatte. In seinem weißen Hemd mit Krawatte sah er ganz verändert aus, wie ein katholischer Schuljunge. Er erklärte mir, dass er in der anderen Brentano-Filiale in Downtown arbeite und einen Mitarbeitergutschein einlösen wolle. Er brauchte sehr lange, um sich alles anzusehen, die Perlen, die Figürchen, die Türkisringe.

Schließlich sagte er: »Ich nehme das da.« Es war die persische Halskette.

»Oh, die habe ich auch am liebsten«, sagte ich. »Sie erinnert mich an ein Skapulier.«

»Bist du katholisch?«, fragte er mich.

»Nein, ich mag bloß katholische Sachen.«

»Ich war Messdiener«, sagte er und grinste mich an. »Am liebsten hab ich immer das Weihrauchfass geschwenkt.«

Ich war froh, dass er sich das Schmuckstück aussuchte, das ich auch genommen hätte, aber traurig, dass ich mich davon trennen musste. Als ich es eingepackt hatte und ihm gab, sagte ich impulsiv: »Schenk das keinem Mädchen außer mir.«

Es war mir sofort peinlich, aber er lächelte nur und sagte: »Mach ich nicht.«

Als er gegangen war, schaute ich auf die leere Stelle auf dem schwarzen Samt, wo es gelegen hatte. Am nächsten Morgen lag ein viel aufwendiger gestaltetes neues Stück an seinem Platz, aber ihm fehlte das schlichte Mysterium des persischen Kettchens.