Ankommen «It’s great, it’s wonderful!»
Einführung in die amerikanische Freundlichkeit und ihre Hintergründe
«How do you like America?» – «Wie gefällt dir Amerika?» Völlig unbefangen und erwartungsvoll kommt die Frage aus dem Mund von Toms Gastmutter, als er das erste Mal amerikanischen Boden betritt. Er ist erst wenige Stunden vorher in Chicago aus dem Flugzeug gestiegen und hat nicht mehr als vier Stunden Autofahrt in nördlicher Richtung hinter sich gebracht. Sein Eindruck von den USA beschränkt sich auf den Flughafen und die am Autofenster vorbeirauschende Landschaft. Für ein Urteil also noch etwas zu früh, vor allem für einen Fünfzehnjährigen. «Great!», antwortet er dennoch instinktiv, und seine Gastmutter strahlt zufrieden. Das war 1974.
Und immer noch wird die Frage «Wie gefällt Ihnen Amerika?» jeden Tag Tausenden Neuankömmlingen gestellt, die gerade erst vom Schiff oder aus dem Flugzeug gestiegen sind. Als Antwort wird keine ausgewogene Analyse erwartet. Es ist einfach eine Einladung, etwas Freundliches zu sagen.
Wer die Frage zu ernst nimmt, ist schon auf dem falschen Gleis, denn vieles in Amerika dreht sich darum, Gelegenheiten zu schaffen, nett zueinander zu sein.
«Wenn du nichts Nettes zu sagen hast, dann sag besser gar nichts!» So lautet ein Standardsatz amerikanischer Mütter, wenn Geschwister sich streiten. Das erklärt später Cutter John im ARD-Studio am Schneidetisch: «Wir alle – und zwar wirklich alle – bekommen das als Kinder eingetrichtert.»
Und so beginnt auch unsere gemeinsame Amerika-Zeit gleich bei der Passkontrolle mit dem Austausch von Nettigkeiten. Das ist im Frühjahr 1994, lange vor den Terroranschlägen des 11. September 2001, lange bevor Amerika anfing, jedem Ausländer Fingerabdrücke und Fotos an der Grenze abzuverlangen. «Was ist der Zweck Ihres Aufenthaltes?», fragt die Dame von der Einwanderungsbehörde und ist mindestens ebenso begeistert wie wir, dass Tom als Korrespondent für einen deutschen Fernsehsender nach Washington versetzt wurde: «That is wonderful!» Der Beamtin steht das Entzücken ins Gesicht geschrieben. In Amerika zu leben – das muss ja wohl das Größte sein, das einem passieren kann.
Wie oft haben wir in den kommenden Jahren Besuch von Freunden, die mit der alltäglichen Begrüßungsformel «How are you?» hadern. Was sollen sie antworten? Wollen die Leute wirklich wissen, wie es ihnen heute geht? Man kennt sich doch gar nicht …
Natürlich erwartet niemand als Antwort einen detaillierten Befindlichkeitsbericht über den neuesten Stand des Scheidungsverfahrens, des Streits mit dem Boss oder die nicht abklingen wollende Erkältung, jedenfalls nicht von einer Zufallsbekanntschaft auf der Straße oder in der Schlange an der Supermarktkasse.
«How are you?» bietet eine der vielen Möglichkeiten, etwas Freundliches zu sagen. Ob man nun ein überschwängliches «Great! Wonderful! Couldn’t be better!» parat hat, ein verhaltenes «Just doing fine» oder gar mit einem «Hangin’ in there …» andeutet, dass