: Leena Lehtolainen
: Auf der falschen Spur Ein Finnland-Krimi
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644300118
: Die Maria Kallio-Reihe
: 1
: CHF 10.00
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 416
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nachdem sich Marias Pläne, mit ihrer Freundin Leena eine Kanzlei zu gründen, zerschlagen, nimmt sie zunächst eine Stelle bei einem Forschungsprojekt an. Sie lernt die Journalistin Jutta Särkikoski kennen, die wie Leena einen Autounfall hatte und seitdem behindert ist. Bevor sie von der Straße abgedrängt worden war, hatte sie einen Dopingskandal aufgedeckt, in den zwei Diskuswerfer verwickelt waren. Seitdem erhielt sie Morddrohungen. Nachdem es bei einer Veranstaltung des Behinderten-Sportbundes einen Toten gibt und die Leiterin des Gewaltdezernats der Espooer Polizei zurücktritt, wird Maria verpflichtet, an ihren alten Arbeitsplatz zurückzukehren, um die Sondereinheit zu leiten, die den Mord untersucht. Doch dafür muss sie Wunden aufreißen, die ihre frühere Mordermittlung hinterlassen hat ...

Leena Lehtolainen, 1964 geboren, lebt und arbeitet als Literaturwissenschaftlerin, Kritikerin und Autorin in Degerby, westlich von Helsinki. Sie ist eine der auch international erfolgreichsten finnischen Schriftstellerinnen, ihre Ermittlerin Maria Kallio gilt nicht nur als eine Art Kultfigur der finnischen Krimiszene, sondern erfreut sich auch bei deutschen Leserinnen und Lesern seit dem Erscheinen des ersten Bandes der Reihe 1994 ungebrochener Beliebtheit.

Eins


Seit einigen Monaten hatte ich häufig Albträume. Alles, was mir in meinem Leben widerfahren war, kehrte im Traum wieder. Der Lauf eines Elchgewehrs drückte gegen meine Brust, und kaum war er verschwunden, sah ich einen explodierenden Briefkasten, der zusammen mit meiner Tochter Iida in die Luft geschleudert wurde. In manchen Träumen war es dunkel, und ich kämpfte mich mit letzter Kraft eine Leiter hoch, denn im Schacht unter mir würde gleich eine Bombe hochgehen. Im schlimmsten Albtraum hielt mir jemand eine mit Zyanid gefüllte Spritze an die Halsschlagader, und ich bekam keine Luft …

Davon wurde ich meistens wach, aber ich brauchte eine ganze Weile, um zu begreifen, dass es nur Träume waren, von der Phantasie verfremdete Erinnerungen an das, was ich bei meiner Arbeit erlebt hatte. Es wunderte mich, dass die Träume erst einsetzten, nachdem ich den Polizeidienst quittiert hatte. War meine Psyche einfach nicht bereit gewesen, Albträume hinzunehmen, solange mir im Alltag jederzeit etwas zustoßen konnte? Ich hatte erst nachträglich eingesehen, dass ich mich auf die Fälle, die ich untersuchte, emotional viel zu sehr eingelassen hatte. Als Ermittlungsleiterin hätte ich distanzierter sein, Abstand von den Verdächtigen halten und mich auf das Gesamtbild konzentrieren müssen. Aber es hatte mir Spaß gemacht, Vernehmungen zu führen und mit Menschen zu tun zu haben. Vielleicht war der Posten der Kommissarin und Dezernatsleiterin von Anfang an nicht das Richtige für mich gewesen, oder besser gesagt, ich war die falsche Person für diesen Job. Bei meiner neuen Arbeit hatte ich viel eher das Gefühl, am richtigen Platz zu sein.

Als ich aus meinem Traum aufschrak, schien die Sonne. Es war ein Morgen im Frühherbst, zehn Minuten nach sechs, der Wecker würde erst um halb acht klingeln. Ich schloss die Augen und versuchte, mich zu entspannen, doch die Traumbilder gingen mir nicht aus dem Sinn. Es ist vorbei, betete ich mir vor. Du brauchst nicht mehr zurück.

Meine Stelle als Hauptkommissarin und Leiterin des Gewaltdezernats bei der Espooer Polizei hatte ich schon vor einigen Jahren gekündigt, mit klaren Zukunftsplänen: Meine Freundin und ehemalige Kommilitonin Leena Viitanen-Ruotsi hatte ihre Tante beerbt, und wir wollten gemeinsam eine auf Rechtshilfe für Minderbemittelte spezialisierte Anwaltskanzlei gründen, die wir unter uns «Allus Engel» nannten. Leena gehörte dem Anwaltsverband an, und ich würde die Aufgaben übernehmen, die keine Mitgliedschaft voraussetzten. Ich erholte mich damals gerade von einer Körperverletzung, der ich im Zuge meiner Ermittlungen in einer Mordserie zum Opfer gefallen war. Selbst als ich die Kündigung einreichte, war mir noch nicht vollkommen bewusst gewesen, wie stark mich die Attacke erschüttert hatte.

Ein Berufswechsel war die einzige denkbare Lösung gewesen. Leena und ich hatten im Frühjahr und in den ersten Sommerwochen mit glühendem Eifer Pläne geschmiedet, bis das Leben wieder einmal mit einer unangenehmen Überraschung aufwartete. Am Wochenende nach Mittsommer war Leenas Familie mit dem Bus zum Sommerhaus ihres Bruders in Bromarv gefahren. Leena war noch mit mir bei einem Konzert gewesen und wollte am Abend mit dem Wagen nachkommen. Erst gegen Mitternacht war sie in Helsinki losgefahren. Bei Västankvarn war ihr ein Fahrer entgegengekommen, der sich vor der Fahrt eine Flasche Schnaps hinter die Binde gegossen hatte. Obwohl Leena auszuweichen versuchte, waren die beiden Autos zusammengestoßen. Im Gegensatz zu dem Betrunke