Tag2
Der nächste Tag, Tag X, der Aufbruch ins wilde Leben, beginnt vielversprechend. Als würde mein kleines privates Umfeld ahnen, was Sache ist. Alle sind friedlich. Niemand haut, niemand brüllt. Es herrscht himmlische Ruhe. Wunderbar. Während ich den Kindergartenproviant zubereite, Äpfelchen zerteile und Brote schmiere, werfe ich zur Bestätigung meines Vorhabens nochmal einen schnellen Blick auf die Liste in meiner Küchenschublade.
Ich will:
mehr Spannung
mehr Sex
mehr Anerkennung
schlankere Schenkel.
Und alles bitte schnell. Ganz schnell.
Ich glaube, da fehlt noch was. Ich ergänze:
Christoph ist erstaunt. Über meine angeblich ungewohnt gute Laune. Üblicherweise bin ich morgens wirklich nicht direkt das, was man in Hochform nennt. Aber es ist wahr: Man kann sich mental puschen. Mit einem kleinen Stück Papier. Hätte ich das früher geahnt, hätte ich es längst getan.
Als Claudia und Christoph sich auf den Weg machen, bekommt mein Liebster einen langen Abschiedskuss. Mit allem drum und dran. Wir züngeln, bis Claudia anfängt, an uns zu zerren. Es scheint ihm zu gefallen. »Ich glaube, ich komme heute Abend mal früher und lasse die Akten im Büro.« Mit diesem Satz signalisiert er, dass ihm die Verabschiedung durchaus gefallen hat. Na bitte, vielleicht ist ein Teil des Problems meine morgendliche Stoffeligkeit. Wie hat mein Vater schon immer gesagt: »Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.« Beschließe, ab jetzt morgens der reinste Sonnenschein zu sein. Mal wieder richtig zu knutschen, ist toll. Heute Abend werden wir es ordentlich krachen lassen.
Ich dusche und creme mich ein, als wäre es schon in wenigen Minuten so weit. Vorfreude ist doch die schönste Freude. O Himmel – ich werde noch genauso eine Sprüchetante wie mein Vater. Meine Güte. Dabei habe ich schon als genervtes Kind gedacht, so einen Kram würde ich niemals im Leben erzählen. Wie man sich täuschen kann. Die Gene schlagen halt doch durch. Blöderweise auch an meinen Schenkeln. Eine leichte Kraterlandschaft. Sie bekommen eine Extraportion Bodylotion. Gecremt sieht das Elend schon besser aus.
Ich betrachte mich im Spiegel. Obenrum geht’s. Vor allem, weil der Spiegel vom Duschen noch leicht beschlagen ist. Untenrum, nun ja. Aber das wird.
Heute Nachmittag geht’s in die große Stadt. Schließlich muss ich Christoph ja noch ein Geschenk besorgen. Hier im Ort ist das mit dem Shoppen so eine Sache. Ein abgetakelter kleiner Eissalon, ein Schreibwarenlädchen, Zeitschriften und ein Supermarkt. Nicht zu vergessen die Boutique Anni. Der Name sagt alles. Ich kaufe wirklich sehr gerne ein, aber bei Anni bleibt meine Kreditkarte völlig ruhig. Nicht die kleinste Zuckung. Seit wir hier draußen leben, ist mein Konto um einiges entspannter. Wo soll ich hier mein Geld auch lassen? Vor allem mein Geld! Seit ich nicht mehr arbeite – jedenfalls nicht außer Haus –, leben wir von Christophs Verdienst. Nichts Ungewöhnliches, aber für mich doch sehr gewöhnungsbedürftig. Christoph ist zum Glück kein Sparbrötchen. Oder besser gesagt, kein extremes Sparbrötchen. Er hat durchaus andere Vorstellungen als ich davon, wofür man dringend Geld ausgeben sollte. Allerdings würde ich durchdrehen, wenn ich für jedes Pa