: Leena Lehtolainen
: Wer sich nicht fügen will Ein Finnland-Krimi
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644301016
: Die Maria Kallio-Reihe
: 1
: CHF 10.00
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 384
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Im Schein des Rotlichts Eine Frau wird brutal misshandelt ins Krankenhaus eingeliefert. Kaum hat Kommissarin Maria Kallio herausgefunden, dass es sich um eine Prostituierte aus der Ukraine handelt, verschwindet diese spurlos. Die Ermittlungen führen Maria tiefer ins Rotlichtmilieu, als ihr lieb ist. Dabei ahnt sie nicht, dass ihr eigenes Leben längst auf dem Spiel steht ... «Niemand erzählt so spannend von finnischen Eigenheiten und kleinen Morden unter Freunden.» (Stern) «Leena Lehtolainen versteht es gut, das Netz um den Mörder enger zu ziehen und dabei immer mehr Spannung aufzubauen - bis hin zum dramatischen Ende, das dazu führt, dass auch ihre Kommissarin vieles neu überdenken muss.» (NDR) Maria Kallios achter Fall

Leena Lehtolainen, 1964 geboren, lebt und arbeitet als Literaturwissenschaftlerin, Kritikerin und Autorin in Degerby, westlich von Helsinki. Sie ist eine der auch international erfolgreichsten finnischen Schriftstellerinnen, ihre Ermittlerin Maria Kallio gilt nicht nur als eine Art Kultfigur der finnischen Krimiszene, sondern erfreut sich auch bei deutschen Leserinnen und Lesern seit dem Erscheinen des ersten Bandes der Reihe 1994 ungebrochener Beliebtheit.

Eins


Die Frau stand am Straßenrand. Die hochhackigen Vinylstiefel endeten eine Handbreit unter dem Saum ihres Minirocks, das enge Top verhüllte kaum ihre Brüste. Ihr Lächeln wirkte verführerisch, aber auch unsicher: Sie konnte nie wissen, was für ein Typ der nächste Freier war. Plötzlich hielt ein Wagen. Am Steuer saß Richard Gere.

Ich schaltete um. Zum dritten Mal «Pretty Woman», nein danke. Die Alternativen waren allerdings auch nicht berauschend: Zeitfahren in der Formel 1, Reality-TV-Abenteuer, ein Quiz, bei dem es hauptsächlich darum ging, die Teilnehmer miteinander zu verkuppeln. Ich trank meinen Tee aus und schaltete den Fernseher ab.

Die Kinder schliefen längst. Ich vergewisserte mich, dass sie atmeten. Venjamin, unser drei Monate altes Katzenbaby, hatte sich am Fußende von Iidas Bett zusammengerollt und fauchte leise, als ich es hinter dem Ohr kraulte. Ich fühlte mich einsam. Ich rief Antti an, aber er hatte das Handy ausgeschaltet, obwohl es erst halb zehn war.

Meine Freunde wollte ich um diese Zeit nicht mehr stören, denn sie hatten entweder kleine Kinder oder mussten morgens früh raus.

Mit fiel nichts Besseres ein, als Koivu anzurufen, der an diesem Abend den Bereitschaftsdienst für unser Dezernat versah. Er war ein paar Jahre jünger als ich und nicht nur mein Kollege, sondern auch ein guter Kumpel. Wir arbeiteten schon seit Jahren zusammen, zuerst in Helsinki, dann in Nordkarelien und jetzt in Espoo.

«Maria hier, grüß dich. Liegt was Besonderes an?»

«Ein Notruf, zu den Janatuinens in der Aapelinkuja. Ist ja auch schon einen Monat her, seit wir zuletzt da waren. Beide stockbesoffen. Jetzt hocken sie in der Ausnüchterungszelle, die Kinder haben wir wieder mal ins Heim gebracht. Kann man den Alten nicht endlich das Sorgerecht entziehen?»

«Wenn die Eltern morgen früh wieder in Reue zerfließen und niemand Anzeige erstattet und wenn …»

«Ja, ja», seufzte Koivu. «Ist das Recht der Eltern in diesem Land wirklich so unumstößlich, dass man nichts für die Kinder tun kann?»

Ich gab ihm keine Antwort. Über dieses Thema hatten wir schon oft gesprochen. Mein Kollege und seine Frau Anu Wang-Koivu, die auch Polizistin war, hatten sich in kurzen Abständen drei Kinder zugelegt, das jüngste war erst zwei Monate alt. Die Vaterrolle hatte Koivu gegenüber allem, was Kinder betraf, dermaßen übersensibel gemacht, dass ich ihn gelegentlich beschwichtigen musste.

«Sonst gibt es nichts?»

«Doch, eine schlimm zugerichtete Frau. Sie ist in die Klinik eingeliefert worden, mit Schnittwunden am ganzen Körper, im Gesicht und an den Geschlechtsorganen. Keine Ausweispapiere, versteht offenbar kein Finnisch. Das Klinikpersonal vermutet, dass sie aus Russland oder einem der Nachbarländer stammt. Bevor die Narkose einsetzte, hat sie etwas geschrien, das sich russisch oder so ähnlich anhörte. Es hat fast zwei Stunden gedauert, die Wunden zu nähen.»

«Wo wurde sie gefunden?»

«Auf einem unbebauten Grundstück in der Nähe des Espooer Zentrums. Ein Hund hat beim Gassigehen das Blut gerochen. Nach Spuren wird noch gesucht.»

Ich dachte an die Filmszene, die ich gerade gesehen hatte. «Wie war sie gekleidet?», fragte ich.

«Winterstiefel und Pelzmantel», erwiderte Koivu. «Darunter gar nichts, nicht mal Unterwäsche.»

Seltsam. Wenn es sich um eine Prostituierte handelte, die von ihrem Zuhälter misshandelt worden war, stellte sich die Frage, warum er ihr Mantel und Stiefel angezoge