: Sigmund Freud
: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104001562
: Gesammelte Werke in 18 Bänden mit einem Nachtragsband
: 1
: CHF 43.00
:
: Psychoanalyse
: German
: 294
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Gesammelte Werke in Einzelbänden, Band VI: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten - Die Technik des Witzes - Die Tendenzen des Witzes - Der Lustmechanismus und die Psychogenese des Witzes - Die Motive des Witzes - Der Witz als sozialer Vorgang - Die Beziehung des Witzes zum Traum und zum Unbewußten - Der Witz und die Arten des Komischen

Sigmund Freud, geb. 1856 in Freiberg (Mähren); Studium an der Wiener medizinischen Fakultät; 1885/86 Studienaufenthalt in Paris, unter dem Einfluss von J.-M. Charcot Hinwendung zur Psychopathologie; danach in der Wiener Privatpraxis Beschäftigung mit Hysterie und anderen Neurosenformen; Begründung und Fortentwicklung der Psychoanalyse als eigener Behandlungs- und Forschungsmethode sowie als allgemeiner, auch die Phänomene des normalen Seelenlebens umfassender Psychologie. 1938 emigrierte Freud nach London, wo er 1939 starb.

II
DIE TECHNIK DES WITZES


Wir folgen einem Winke des Zufalls und greifen das erste Witzbeispiel auf, das uns im vorigen Abschnitt entgegengetreten ist.

In dem Stück der „Reisebilder“, welches „Die Bäder von Lucca“ betitelt ist, führtH. Heine die köstliche Gestalt des Lotteriekollekteurs und Hühneraugenoperateurs Hirsch-Hyacinth aus Hamburg auf, der sich gegen den Dichter seiner Beziehungen zum reichen Baron Rothschild berühmt und zuletzt sagt: Und so wahr mir Gott alles Gute geben soll, Herr Doktor, ich saß neben Salomon Rothschild und er behandelte mich ganz wie seinesgleichen, ganzfamillionär.

An diesem als ausgezeichnet anerkannten und sehr lachkräftigen Beispiel habenHeymans undLipps die Ableitung der komischen Wirkung des Witzes aus der „Verblüffung und Erleuchtung“ (s. o.) erläutert. Wir aber lassen diese Frage beiseite und stellen uns die andere: was es denn ist, was die Rede des Hirsch-Hyacinth zu einem Witze macht? Es könnte nur zweierlei sein; entweder ist es der in dem Satz ausgedrückte Gedanke, der den Charakter des Witzigen an sich trägt, oder der Witz haftet an dem Ausdruck, den der Gedanke in dem Satz gefunden hat. Auf welcher Seite sich uns der Witzcharakter zeigt, dort wollen wir{015}ihn weiter verfolgen und versuchen, seiner habhaft zu werden.

Ein Gedanke kann ja im allgemeinen in verschiedenen sprachlichen Formen – in Worten also – zum Ausdruck gebracht werden, die ihn gleich zutreffend wiedergeben mögen. In der Rede des Hirsch-Hyacinth liegt uns nun eine bestimmte Ausdrucksform eines Gedankens vor und, wie uns ahnt, eine besonders eigentümliche, nicht diejenige, welche am leichtesten verständlich ist. Versuchen wir, denselben Gedanken möglichst getreulich in anderen Worten auszudrücken.Lipps hat dies bereits getan und damit die Fassung des Dichters gewissermaßen erläutert. Er sagt (S.87): „Wir verstehen, daßHeine sagen will, die Aufnahme sei eine familiäre gewesen, nämlich von der bekannten Art, die durch den Beigeschmack des Millionärtums an Annehmlichkeiten nicht zu gewinnen pflegt.“ Wir verändern nichts an diesem Sinn, wenn wir eine andere Fassung annehmen, die sich vielleicht besser in die Rede des Hirsch-Hyacinth einfügt: „Rothschild behandelte mich ganz wie seinesgleichen, ganzfamiliär, d. h. soweit einMillionär das zu stande bringt.“ „Die Herablassung eines reichen Mannes hat immer etwas Mißliches für den, der sie an sich erfährt,“ würden wir noch hinzusetzen.[3]

Ob wir nun bei dieser oder einer anderen gleichwertigen Textierung des Gedankens verbleiben, wir sehen, daß die Frage, welche wir uns vorgelegt haben, bereits entschieden ist. Der Witzcharakter haftet in diesem Beispiel nicht am Gedanken. Es ist eine richtige und scharfsinnige Bemerkung, dieHeine seinem Hirsch-Hyacinth in den Mund legt, eine Bemerkung von unverkennbarer Bitterkeit, wie sie bei dem armen Manne angesichts so großen Reichtums leicht begreiflich ist, aber wir würden uns nicht getrauen, sie witzig zu heißen. Meinte nun jemand, der{016}bei der Übertragung die Erinnerung an die Fassung des Dichters nicht los z