Freunde und Verwandte Soziale Beziehungen in einer spätmittelalterlichen Stadt
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Kerstin Seidel
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Freunde und Verwandte Soziale Beziehungen in einer spätmittelalterlichen Stadt
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Campus Verlag
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9783593405735
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Campus Historische Studien
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1
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CHF 38.10
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Mittelalter
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German
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350
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Wasserzeichen/DRM
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PC/MAC/eReader/Tablet
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PDF
Auch im Mittelalter waren verwandtschaftliche und freundschaftliche Beziehungen wichtige Bezugspunkte im Leben. Kerstin Seidel stellt in einem Vergleich der beiden Beziehungsformen dar, wie sich diese ergänzten, durchdrangen und miteinander konkurrierten. Am Beispiel des spätmittelalterlichen Köln veranschaulicht sie, dass Verwandtschaftsbeziehungen zwar von Konflikten getrübt sein konnten, verglichen mit den zumeist flüchtigen und zweckgebundenen Freundschaften jedoch sehr viel stärkere Bindungen bedeuteten. Freundschaften wurden wichtig, wenn Verwandte fehlten, und oft wurden sie durch Heirat in Verwandtschaft überführt.
Kerstin Seidel, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Universität Zürich.
Einleitung 1. Ausgangspunkte Das Mittelalter dient Historikern oftmals als Gegenfolie, wenn sie neuzeitliche Prozesse, insbesondere Modernisierungstendenzen, beschreiben wollen. Häufig ist das Bild vom ?Vorher?, das in diesen Entwürfen transportiert wird, diffus. Es speist sich aus Globalannahmen über die vormodernen Zeiten oder aus einzelnen Fallstudien, die unzulässig zeitlich erweitert und räumlich übertragen werden. Eine in diesem Zusammenhang oft wiederholte These ist die, dass sich spätestens mit der Industrialisierung die vorherrschenden Familienformen in Mitteleuropa entscheidend verändert hätten, dass die Mobilität der Arbeitskräfte, die durch die veränderten ökonomischen Bedingungen notwendig geworden sei, eine Konzentration auf die Kernfamilie herbeigeführt habe. Neben diesem Argument werden sowohl von Sozialhistorikern als auch von Soziologen zahlreiche andere angeführt, die einen Bedeutungsverlust der weiteren Verwandtschaft in der Moderne belegen sollen. Die Funktionen, die vormals den Verwandten zukamen, hätten nun entweder die Versorgungseinrichtungen des modernen Staates, die Mitglieder der Kernfamilie (in erster Linie der Partner) oder die Freunde übernommen. Vor allem Letzteren wurde im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert in der populären Ratgeberliteratur die Rolle der wichtigsten Bezugspersonen im Leben des modernen Individuums zugeschrieben. Hinter diesen vermeintlich am modernen Untersuchungsgegenstand gebildeten Thesen stehen gleich mehrere Annahmen über die vormodernen Verhältnisse: erstens, dass der große Verwandtschaftsverband ?früher? - und das soll ja vielfach bedeuten: bis ins 18. Jahrhundert hinein - tatsächlich gegenüber kernfamilialen Formen dominiert hätte, zweitens, dass in derart verwandtschaftszentrierten Gesellschaften andere Beziehungsformen wie etwa Freundschaft nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben können, und drittens, dass es eine vergleichbare Mobilität, die andere Beziehungsformen als die Verwandtschaft hätte befördern müssen, noch nicht gegeben hätte. Gegen die erste dieser Annahmen wandten sich zuerst in den 1960er Jahren an Strukturen interessierte Sozialhistoriker wie die Forschergruppe um Peter Laslett, die anhand empirischer Verfahren nachweisen konnte, dass der durchschnittliche Haushalt auch im Mitteleuropa der Vormoderne auf die Kernfamilie konzentriert war. Vertreter einer stärker am handelnden Subjekt orientierten historischen Anthropologie und Kulturgeschichte betonten gegenüber der älteren Metaerzählung von der Stabilität vormoderner Verwandtschaftsverbände die Fragilität und Konfliktanfälligkeit familialer Konstellationen. Hier kommen auch andere Beziehungsformen neben der alles dominierenden Verwandtschaft in den Blick, so etwa spirituelle Verwandtschaftsverbindungen, Patron-Klient-Beziehungen oder Freundschaft. Die Bedeutung genossenschaftlicher Verbindungen wurde ebenfalls bereits lange betont, ohne dass dies jedoch auf die Verwandtschaftsforschung Einfluss genommen hätte. Gegen die dritte Annahme sind schließlich Gelehrte oder Kaufleute des späten Mittelalters anzuführen, deren gruppenspezifische Mobilität und die damit verbundene Trennung von den Herkunftsfamilien die Etablierung anderer sozialer Beziehungen zur Folge hatten. Studien zu Gelehrtenzirkeln legen durchaus die Vermutung nahe, dass Freundschaft jedenfalls für die Struktur best
Inhalt
6
Vorwort
10
Einleitung
12
1. Ausgangspunkte
12
2. Forschungslage
15
3. Fragestellung und Untersuchungsgang
22
4. Köln im späten Mittelalter
25
I Verwandtschaft interpretieren: Das Kölner Ratsschriftgut
34
1. Hintergrund: Der Kölner Rat und seine Gesetzgebung
34
2. Hochzeiten und Todesfälle: Verwandtschaft in den Luxusgesetzen
39
3. Verwandtschaft als Problem: Umbewertungen in städtischen Konflikten
47
4. Fazit: Bedeutung und Umdeutung von Freundschaft und Verwandtschaft
55
II Der Verwandtschaft gedenken: Die Kölner Testamente
57
1. Hintergrund: Bürgertestamente in Köln und anderswo
57
2. Zugehörigkeiten demonstrieren: Die Wahl der Grabstätte
63
3. Gemeinschaft der Lebenden und der Toten: Stiftungen für das Seelenheil
81
4. Gruppenzusammenhänge im Diesseits: Die Erben
85
5. In der Vertrauensposition: Wer wird Treuhänder?
104
6. Fazit: Bindungsmuster in den Kölner Testamenten
118
III Schreiben über Verwandtschaft: Selbstzeugnisse aus Köln
123
1. Hintergrund: Familienbücher im Kontext der Selbstzeugnisforschung
123
2. Die Slosgins: Familienidentität und soziale Verortung einer Kaufleutefamilie
131
3. Werner Overstolz: Formen patrizischer Repräsentation
156
4. Hermann von Weinsberg: vox audita perit, litera scripta manet
177
5. Fazit: Differente Entwürfe sozialer Beziehungen
203
IV Sprechen über Freunde und Verwandte: Zur Semantik sozialer Beziehungen
208
1. Hintergrund: Forschungen zur Semantik
208
2. Polyvalente Bezeichnungen
214
3. Übertragene Bedeutungen: Ratsfreunde und Amtsbrüder
227
4. Fazit: Begriffliche Konzepte von Freundschaft und Verwandtschaft
234
V Verwandte machen, verwandt sein: Beziehungsnormen und Konflikte
236
1. Hintergrund: Was ist Verwandtschaft?
236
2. Die Ehegemeinschaft: Kooperation und Konflikt
239
3. Ein ›Generationenvertrag‹ im Mittelalter? Die Eltern-Kind-Beziehung
245
4. Geschwister: Verbündete Rivalen?
260
5. Das Fehlen der entfernten Verwandten in der Kölner Überlieferung
266
6. Die fruntschaft verneuweren: Gevatterschaften und Eheschließungen
269
7. Fazit: Über die Bindekraft der Verwandtschaft
275
VI Freunde finden: Probleme mit einer sozialen Beziehung
277
1. Reprise: Auf der Suche nach Freunden
277
2. Freundschaft als Strukturprinzip der Gelehrtengemeinschaft
289
3. Die appellative Funktion der Freundschaft: Kaufleute und ihre Korrespondenzen
297
4. Fazit: Der appellative Kern der Freundschaft
309
Schluss
311
Quellen und Literatur
316
1. Quellen
316
2. Literatur
319
Sach- und Personenregister
339