Mobilisierung der Diaspora Die moralische Ökonomie der Bürgerkriege in Sri Lanka und Eritrea
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Katrin Radtke
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Mobilisierung der Diaspora Die moralische Ökonomie der Bürgerkriege in Sri Lanka und Eritrea
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Campus Verlag
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9783593407524
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Mikropolitik der Gewalt
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1
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CHF 32.60
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Vergleichende und internationale Politikwissenschaft
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German
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264
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Wasserzeichen/DRM
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PC/MAC/eReader/Tablet
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PDF
Welche Rolle spielen Flüchtlingsgemeinschaften bei der Finanzierung von Bürgerkriegen? Am Beispiel der Bürgerkriege in Eritrea und Sri Lanka untersucht Katrin Radtke das transnationale Beziehungsgeflecht zwischen den bewaffneten Gruppen und den Flüchtlingen in der Diaspora. Auf der Grundlage mehrmonatiger Feldforschungsaufenthalte in beiden Konfliktländern beschreibt sie, mit welchen Strategien die Flüchtlinge moralisch unter Druck gesetzt werden. Eine ursprünglich freiwillige Gabe wird so zu einer Pflichtabgabe für den bewaffneten Kampf.
Katrin Radtke ist Referentin für Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit bei der Welthungerhilfe.
8. Die transnationalen Mobilisierungsstrukturen der bewaffneten Gruppen und die politischen Gelegenheitsstrukturen der Gastländer In diesem Kapitel wird die organisatorische Seite des Mobilisierungsprozesses in den Blick gerückt. Es soll geklärt werden, welche Strukturen eine Mobilisierung der Diaspora möglich machen und wie sich Unterschiede zwischen den beiden bewaffneten Gruppen erklären lassen. Den Ausgangspunkt für die Bearbeitung dieser Fragen bietet die Forschung über soziale Bewegungen. Unter dem Begriff der Mobilisierungsstrukturen werden hier jene Gruppen, Organisationen und informellen Netzwerke in den Blick gerückt, die die kollektiven Bausteine von sozialen Bewegungen darstellen. In Anlehnung an die Erkenntnisse der Theorien sozialer Bewegungen wird in diesem Kapitel argumentiert, dass für die Ausdehnung der Mobilisierungsstrukturen bewaffneter Gruppen in den transnationalen Raum die bereits vorhandenen institutionellen Strukturen der Diaspora eine entscheidende Rolle spielen. Wie in den Fallbeispielen des vorangegangenen Kapitels deutlich wurde, drückt sich die moralische Ökonomie der Diaspora in Form von verschiedenen ethnischen Organisationen und informellen Netzwerken aus. An diese Institutionen können bewaffnete Gruppen nicht nur anknüpfen, sondern sie sind in vielen Fällen an ihrem Ausbau selbst beteiligt. Dies gilt insbesondere, wenn die Entstehung der Diaspora weitgehend mit dem Bürgerkrieg zusammenfällt. Gleichzeitig werden von den bewaffneten Gruppen jedoch auch hoch formalisierte Organisationen ausgebaut, die die Institutionen in der Diaspora stabilisieren. Während die Mobilisierung der tamilischen Diaspora zusehends über Organisationen ausgeführt wurde, die formal in keinem Zusammenhang mit der LTTE standen, trat die EPLF in der eritreischen Diaspora während des gesamten Krieges als wichtigste Organisation in Erscheinung. Die Zusammensetzung der Mobilisierungsstrukturen, d. h. die Frage, ob die Organisation der bewaffneten Gruppe oder formal unabhängige Organisationen überwiegen, hängt, so die These dieses Kapitels, entscheidend von den politischen Gelegenheitsstrukturen ab, die das Gastland bietet. Im Folgenden wird zunächst das aus der Forschung über soziale Bewegungen stammende Konzept der Mobilisierungsstrukturen vorgestellt. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend werden die beiden Fallstudien untersucht. Dabei wird insbesondere das Ineinandergreifen von formellen und informellen Teilstrukturen sowie von solchen, die der bewaffneten Gruppe zuzuordnen sind und solchen, die unabhängig von ihr bestehen, in den Blick gerückt. Im Fazit werden die eingangs vorgestellten Überlegungen zu den Mobilisierungsstrukturen sozialer Bewegungen vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Fallstudien reflektiert und im Hinblick auf den Sonderfall der bewaffneten Gruppen spezifiziert. 8.1.Mobilisierungsstrukturen und ethnische Kolonien In der Forschung über soziale Bewegungen besteht weitgehende Einigkeit über die Bedeutung von Mobilisierungsstrukturen für den Verlauf einer sozialen Bewegung (McAdam u.a. 1996: 2). Die Literatur zu Mobilisierungsstrukturen ist im Wesentlichen durch zwei theoretische Perspektiven inspiriert. Den wichtigsten Einfluss übt die von McCarthy/Zald (1973, 1977) entwickelte Theorie der Ressourcenmobilisierung aus. Auf der anderen Seite rückt auch das 'political process' Modell (Tilly u.a. 1975, Tilly 1978; McAdam 1999) Mobilisierungsstrukturen in den Blick. Beide Theoriestränge gehen davon aus, dass eine Bewegung bestimmte Ressourcen (z. B. Geld und Arbeit) benötigt, um handlungsfähig zu bleiben. Die Aggregation von Ressourcen erfordert jedoch die Entwicklung formaler Organisationen. Die Bedeutung dieser so genannten 'Social Movement Organisations' (SMO) (McCarthy/Zald 1977: 1216) wird besonders im Ressourcenmobilisierungsansatz hervorgehoben. McAdam (1999: 44) auf der anderen Seite hebt die Bedeutung einer in der aufgebrachten Bevölkerungsgruppe bereits vorhandenen Infrastruktur hervor, die benutzt werden kann, um Teile dieser Bevölkerung in eine organisierte Kampagne von politischem Massenhandeln einzubinden (vgl. auch Freeman 1973). Unter Mobilisierungsstrukturen werden daher in Anlehnung an McAdam, McCarthy und Zald (1996: 3) verstanden: 'those collective vehicles, informal as well as formal, through which people mobilize and engage in collective action'. Aus der Perspektive der Mobilisierungsstrukturen werden meso-level Gruppen, Organisationen und informelle Netzwerke in den Blick gerückt. Neben den so genannten 'Social Movement Organisations' (SMOs) können sie Aktivisten-Netzwerke, Freundschaftsnetzwerke, Nachbarschaft, Arbeitsnetzwerke, Kirchen, Gewerkschaften, Berufsverbände und andere umfassen. In dem Versuch, die empirischen Muster von Mobilisierungsstrukturen in kohärente Konfigurationen zu aggregieren schlägt McCarthy (1996: 145) vor, Mobilisierungsstrukturen nach ihrem Grad der Formalisierung und Zentralisierung sowie durch ihr formales Engagement in der Bewegung voneinander zu unterscheiden. An dem am wenigsten formalisierten Ende des Kontinuums und unabhängig von der Bewegung stehen Familien und Freundschaftsnetzwerke sowie Netzwerke, die im Arbeitszusammenhang entstehen. Ebenfalls informell organisiert, jedoch formal der sozialen Bewegung zuzuordnen, sind Aktivistennetzwerke und so genannte 'Erinnerungsgemeinschaften' (Woliver 1993). Auf der formellen Seite der Mobilisierungsstrukturen, jedoch nicht direkt der Bewegung zuzuordnen, stehen beispielsweise Kirchen, Gewerkschaften und Berufsverbände. Schließlich lässt sich noch eine große Vielfalt unterschiedlicher formeller Organisationen unterscheiden, die der sozialen Bewegung direkt zugehören. Dazu zählen auf der einen Seite die Bewegungsorganisationen in ihren unterschiedlichen institutionellen Formen. Angefangen mit unabhängigen lokalen auf ehrenamtlicher Arbeit beruhenden Gruppen, bis zur nationalen professionellen Organisationen (McCarthy 1996: 142 ff).
Inhalt
6
Danksagung
10
1. Einleitung
12
1.1. Fragestellung und Argumentation
14
1.2. Methode und Forschungsprozess
17
1.3. Aufbau des Buches
27
2. Forschungsstand und theoretische Ausgangspunkte
31
2.1. Die Diaspora in der Kriegs- und Konfliktforschung
32
2.2. Transnationale Mobilisierung in den Theorien der Internationalen Beziehungen und der Forschung über soziale Bewegungen
41
2.3. Transnationale Gemeinschaften in der Migrationsforschung
46
2.4. Fazit
49
Teil I Lokaler Kontext
52
3. Die Geschichte der Bürgerkriege
54
3.1. Sri Lanka
54
3.2. Eritrea
66
3.3. Fazit
76
4. Die Mikropolitik bewaffneter Gruppen und das Problem der Legitimität
77
4.1. Die Mikropolitik bewaffneter Gruppen: Analyserahmen
78
4.2. Die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE)
81
4.3. Die Eritrean People’s Liberation Front (EPLF)
90
4.4. Fazit
100
5. Die Institutionalisierung der Finanzierung und das Problem des »interessierten Dritten«
103
5.1. Die Formen der Finanzierung
103
5.2. Die Finanzierung der LTTE
105
5.3. Die Finanzierung der EPLF
116
5.4. Fazit
125
6. Zusammenfassung und Fazit
128
Teil II Mobilisierung der Diaspora
132
7. Die moralische Ökonomie der Diaspora
134
7.1. Das Konzept der moralischen Ökonomie
135
7.2. Die tamilische Diaspora
137
7.3. Die eritreische Diaspora
148
7.4. Fazit
160
8. Die transnationalen Mobilisierungsstrukturen der bewaffneten Gruppen und die politischen Gelegenheitsstrukturen der Gastländer
163
8.1. Mobilisierungsstrukturen und ethnische Kolonien
164
8.2. Die Mobilisierungsstrukturen der LTTE in der tamilischen Diaspora
171
8.3. Die Mobilisierungsstrukturen der EPLF in der eritreischen Diaspora
185
8.4. Fazit
196
9. Die Finanzierung der bewaffneten Gruppen in der Diaspora und die Erosion der moralischen Ökonomie
199
9.1. Formen der Finanzierung in der Diaspora
200
9.2. Die Finanzierung der LTTE in der Diaspora
203
9.3. Die Finanzierung der EPLF in der Diaspora
213
9.4. Fazit
217
10. Fazit
220
10.1. Ergebnisse der Fallstudien
221
10.2. Modell der transnationalen Mobilisierung finanzieller Ressourcen durch bewaffnete Gruppen
225
10.3. Reichweite und Grenzen des Modells
228
10.4. Einordnung der Ergebnisse in die theoretische Debatte
233
10.5. Ausblick: Institutionalisierung im transnationalen Raum und die politische Soziologie der Weltgesellschaft
236
Abbildungsverzeichnis
239
Tabellenverzeichnis
240
Abkürzungsverzeichnis
241
Literatur
242