: Hermann Schöler, Alfons Welling
: Sonderpädagogik der Sprache
: Hogrefe Verlag GmbH& Co. KG
: 9783840917080
: 1
: CHF 78.80
:
: Psychologie
: German
: 1210
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Sprache ist eine der herausragenden Fähigkeiten des Menschen und das bedeutsamste Kommunikationsmittel, mit dem wir unser Zusammenleben organisieren. Sie ist eine zentrale Voraussetzung erfolgreichen Lernens und Gegenstand vieler wissenschaftlicher Disziplinen. In den sechs Abschnitten dieses Handbuchs werden daher zahlreiche Aspekte von Sprache durch führende Vertreterinnen und Vertreter aus Linguistik, Logopädie, Pädagogik, Phoniatrie, Psychologie und Psychiatrie systematisch und umfassend beschrieben und analysiert. Im ersten Abschnitt werden die Erstsprachentwicklung, das Schriftsprachlernen und das Lernen mehrerer Sprachen in ihren unauffälligen Verläufen beleuchtet. Die folgenden Teile des Buches widmen sich den Störungen des Sprach- und Schriftsprachlernens, den Klassifikationssystemen für die verschiedenen Störungsformen und den diagnostischen Methoden, den Präventionsmaßnahmen und den möglichen Interventionsmethoden. Thema des letzten Abschnitts sind Schule und Unterricht. Das Buch ist ein Muss für alle, die sich mit Sprache und Schriftsprache sowie ihren Auffälligkeiten und Störungen im Unterricht, in Diagnostik, in Frühförderung, Therapie und Beratung professionell beschäftigen. Für die Forschung bietet es einen Überblick über den aktuellen Wissensstand in den beteiligten Disziplinen.
Teil II Sprach- und Schriftsprachlernstörungen (S. 173-174)

Einführung

Teil II enthält die Beiträge zur Beschreibung und – soweit möglich – Erklärung von Störungen des Sprach- und Schriftsprachlernens.

Im ersten Beitrag beschäftigt sich Petra Schulz mit der verzögerten Sprachentwicklung, d. h. einem verlangsamten und verspäteten Spracherwerb während der ersten drei Lebensjahre. Dabei unterscheidet sie drei Typen der Sprachentwicklungsverzögerung: (a) Kinder, die sehr spät zu sprechen beginnen (late talker) und im Alter von zwei Jahren nur über einen geringen aktiven Wortschatz (weniger als 50 Wörter) verfügen, (b) Kinder mit spätem Sprechbeginn, die aber im weiteren Verlauf des Sprachlernens diese Retardierung aufholen (late bloomer) und (c) Kinder mit einer Spezifi schen Sprachentwicklungsstörung. Vor dem Hintergrund neuer Theorien der neuroanatomischen Entwicklung wird diskutiert, ob der Spracherwerb der „Spätzünder“ später tatsächlich immer unauffällig verläuft oder ob nicht ein Großteil dieser late bloomer doch late talker mit einer persistierenden Sprachentwicklungsstörung sind.

Mit der Spezifi schen Sprachentwicklungsstörung beschäftigt sich im zweiten Beitrag die Freiburger Forschergruppe um Michael Schecker. Zunächst wird das Phänomen von anderen Störungs- und Verzögerungsformen abgegrenzt. Die Vielzahl der betroffenen Leistungsbereiche und Komorbiditäten hat bislang nicht zu schlüssigen Erklärungen für diese Störung geführt. Zentral-auditive Verarbeitungsdefi zite scheinen sich zwar in den letzten Jahren als eine Invariante bei vielen Untersuchungen herauszustellen, sie bilden jedoch noch keine tragfähige Erklärungsmöglichkeit. Die Autoren sehen in der zunehmenden Nutzung neuer Methoden, wie bildgebenden Verfahren und elektrophysiologischen Untersuchungsmöglichkeiten, Chancen, um das Bedingungsgefüge bei Spezifi schen Sprachentwicklungsstörungen detaillierter analysieren und erklären zu können. Das Phänomen der phonologisch-phonetischen Entwicklungsstörung beschreiben Alfons Welling und Christiane Grümmer. Nach einem Blick in die Geschichte, die lange Zeit von dem so genannten physiologischen Paradigma geprägt war, wird das Sprachkorpus eines Kindes betrachtet, und es werden daraus therapiedidaktische Schlussfolgerungen gezogen. Die Autoren präferieren eine so genannte optimalitätstheoretische Orientierung zur Beschreibung und Erklärung der phonologisch-phonetischen Entwicklungsstörung, da sie „eine Reihe von Vorteilen verspricht, die empirisch teilweise bereits gut abgesichert sind“ und mit der „einige Aufgaben im Feld der phonologisch-phonetischen Entwicklungsstörung gründlicher“ als mit anderen theoretischen Orientierungen bearbeitet werden können.

Mit morphosyntaktischen Entwicklungsstörungen befasst sich Dietlinde Schrey-Dern. Dabei problematisiert sie die Bewertung morphosyntaktischer Auffälligkeiten, die bei Zugrundelegung einer schriftsprachlichen Norm als Fehler oder aber als Ausdruck einer bestimmten Entwicklungsstufe betrachtet werden. Eine differenzialdiagnostische Abklärung wird gefordert, da morphosyntaktische Auffälligkeiten Ausdruck unterschiedlicher Störungsformen und Bedingungsgefüge sein können.

In dem Beitrag über lexikalisch-semantische Entwicklungsstörungen weisen Christina Kauschke und Monika Rothweiler auf die prognostische Validität eines verspäteten Sprechbeginns, verbunden mit einem geringen Wortschatz, hin, welcher mit solchen Störungen einhergeht. Die Symptomatik, mögliche zugrunde liegende Defi zite und die Beziehungen zu Leistungen auf anderen Sprachebenen werden dargestellt. Christian W. Glück beschreibt und diskutiert die Schwierigkeiten, Auffälligkeiten in der Sprachverwendung (pragmatische Störungen) von Kindern und Jugendlichen zu defi nieren und in einem einheitlichen System zu klassifi zieren. Es wird vorgeschlagen, die jeweils individuelle Ausprägung pragmatischer Auffälligkeiten mehrdimensional zu erfassen und einen Komponentenansatz zu wählen, „bei dem kognitive, linguistische und sensumotorische Systeme als Elemente der Gesamtleistung Pragmatik getrennt betrachtet werden“, da dieser „unter dem Aspekt der Ableitung pädagogisch-therapeutischen Handelns […] die meisten Hinweise liefern kann“.

Das Auftreten von Spezifi schen Sprachentwicklungsstörungen bei Mehrsprachigkeit wird von Monika Rothweiler unter drei Fragestellungen behandelt: (1) Zeigen sich Unterschiede in den Phänomenen bei Spezifi schen Sprachentwicklungsstörungen in Abhängigkeit von verschiedenen Sprachen? (2) Gibt es Unterschiede zwischen dem Sprachlernen bei einer Spezifi schen Sprachentwicklungsstörung und dem kindlichen Zweitspracherwerb? (3) Wie äußert sich eine Spezifi sche Sprachentwicklungsstörung in einem mehrsprachigen Kind? Für die Sprachbehindertenpädagogik ist das Resümee der Autorin relevant, dass „die Annahme widerlegt [ist], dass für spracherwerbsgestörte Kinder, deren Probleme sich schon in der Erstsprache zeigen, ein frühes Angebot einer Zweitsprache eine Überforderung darstellt“.

Neurolinguistische und neurophonetische Sprach- und Sprechstörungen werden in drei Beiträgen thematisiert.

Zunächst bearbeitet Vanessa Zilkens den Bereich der kindlichen Aphasien, die sich als seltenes und heterogenes Phänomen zeigen. Nicht nur das Erscheinungsbild, auch die Forschungssituation stellt sich als sehr uneinheitlich dar, sodass Verallgemeinerungen aufgrund der fehlenden Vergleichbarkeit der Studien nicht möglich sind. An einem Fallbeispiel wird die Notwendigkeit einer differenzierten Beschreibung und Diagnose verdeutlicht. Anne Schulte-Mäter grenzt die verbale Entwicklungsdyspraxie zunächst von erworbenen Sprechapraxien ab. Eine „eindeutige Identifi zierung der verbalen Entwicklungsdyspraxie gestaltet sich – trotz oder gerade wegen der umfangreichen Liste möglicher Symptome – in der Praxis oft ausgesprochen schwierig“. Dass bei verbaler Entwicklungsdyspraxie des Öfteren „Therapieresistenz“ beobachtet wird, ist nach Auffassung der Autorin darin begründet, dass zahlreiche Therapieansätze ungeeignet sind. Die therapeutischen Bemühungen sollten vor allem auf die eingeschränkte Fähigkeit, Sprechbewegungen in ihrer zeitlich-räumlichen Sequenz zu programmieren, gerichtet sein. Zu den Grundprinzipen therapeutischen Vorgehens gehöre auch die Einbindung der Bezugspersonen, um tägliches Üben im Sinne von „zunächst sehr drillorientierter Übungsarbeit“ zu gewährleisten.

Als weitere Störungsform wird von Barbara Giel die Entwicklungsdysarthrie beschrieben. Da viele Komorbiditäten bestehen, erweist sich schon ihre Defi nition und Abgrenzung von anderen Störungsformen als problematisch. Das Resümee der Autorin besteht daher in einem eigenen Defi nitionsversuch.
Inhaltsverzeichnis6
Vorwort der Reihenherausgeber24
Vorwort der Bandherausgeber26
I Das ungestörte Sprach-, Zweitsprach- und Schriftsprachlernen29
Einführung31
1 Erstsprachlernen33
1.1 Thema Sprachentwicklung: Ein einführender Rundblick33
1.2 Von der Stimme zur Sprache: Die Ontogenese von Phonetik, Phonologie und Prosodie47
1.3 Grammatikentwicklung57
1.4 Lexikalischer Erwerb70
1.5 Pragmatik: Sprachentwicklung im Kontext sozialen Handelns85
2 Zweitspracherwerb95
2.1 Zweitspracherwerb als Problem – ein Vorurteil95
2.2 Zweitspracherwerb vs. doppelter Erstspracherwerb vs. Fremdspracherwerb97
2.3 Theoretische Ansätze zum Zweitspracherwerb101
2.4 Abschließende Betrachtung113
3 Theorien und Determinanten des Erwerbs der Schriftsprache120
3.1 Befunde der drei Forschungsfelder und daraus abgeleitete Überlegungen für die Leselernforschung120
3.2 Fragestellungen der neueren Schriftspracherwerbsforschung126
3.3 Einflussfaktoren im Rahmen der Weiterentwicklungen in den klassischen Forschungsfeldern128
3.4 Befunde der neueren Schriftspracherwerbsforschung132
3.5 Vorläuferfertigkeiten und ihre Beziehung zu den Anforderungen des Schriftsprachlernprozesses152
3.6 Zusammenfassung161
4 Schriftlernen unter Berücksichtigung des kindlichen Schriftwissens176
4.1 Beobachtungen kindlicher Schriftaneignung am Beispiel von Schreibungen von Wörtern mit dem t- Buchstaben177
4.2 Konsequenzen für den Unterricht zum Schriftlernen192
4.3 Abschluss195
II Sprach- und Schriftsprachlernstörungen199
Einführung201
5 Sprachentwicklungsstörungen206
5.1 Verzögerte Sprachentwicklung: Zum Zusammenhang206
5.2 Spezifische Sprachentwicklungsstörungen218
5.3 Phonologisch-phonetische Entwicklungsstörung241
5.4 Morphosyntaktische Entwicklungsstörungen260
5.5 Lexikalisch-semantische Entwicklungsstörungen267
5.6 Pragmatische Störungen bei Kindern und Jugendlichen275
5.7 Spezifische Sprachentwicklungsstörung und Mehrsprachigkeit282
6 Neurolinguistische und neurophonetische Sprach- und Sprechstörungen287
6.1 Aphasie im Kindesalter287
6.2 Verbale Entwicklungsdyspraxie306
6.3 Dysarthrie/Dysarthrophonie im Kindesalter – Entwicklungsdysarthrie312
7 Peripher-organisch bedingte Sprach- und Sprechstörung im Kindesalter321
7.1 Lippen-Kiefer-Gaumen-Segel-Fehlbildung321
7.2 Dysgnathien und orofaziale Dysfunktionen338
8 Kindliche Stimmstörungen351
8.1 Die Entwicklung der Stimme352
8.2 Kindliche Stimmstörung354
8.3 Organische Dysphonien355
8.4 Funktionelle Stimmstörungen361
9 Störungen der Sprechflüssigkeit370
9.1 Sprechflüssigkeit und Sprechunflüssigkeiten370
9.2 Stottern373
9.3 Poltern378
10 Selektiver Mutismus im Kindesalter385
10.1 Selektiver Mutismus – eine erste Annäherung385
10.2 Selektiver Mutismus – eine weitergehende Charakterisierung387
10.3 Mutismus und andere Entwicklungsauffälligkeiten388
10.4 Ätiologische Annahmen390
10.5 Mutismus und soziale Angststörung391
10.6 Abschließende Bemerkungen393
11 Schriftsprachlernstörungen398
11.1 Schwierigkeiten beim Lesenlernen aufgrund einer spezifischen Störung ( Legasthenie) oder Ausdruck einer allgemeinen Lernbeeinträchtigung398
11.2 Störungen/Schwierigkeiten des Lesenlernens ( Dyslexie – Legasthenie) und des Rechtschreibens aus kinderpsychiatrischer Perspektive424
11.3 Neurologische Grundlagen der Legasthenie447
11.4 Funktionaler Analphabetismus459
12 Probleme beim Zweitspracherwerb470
12.1 Semilingualismus471
12.2 Sprachliche Entwicklungsauffälligkeiten bei Kindern mit Migrationshintergrund475
12.3 Strukturelle Entwicklungsauffälligkeiten bei Mehrsprachigkeit478
12.4 Zusammenfassung480
13 Sprachstörungen bei kognitiver Beeinträchtigung484
13.1 Zum Verhältnis von Kognition und Sprache485
13.2 Lern- und geistige Behinderung und Sprachentwicklung487
13.3 Down-Syndrom489
13.4 Williams-Beuren-Syndrom490
13.5 Andere genetische Syndrome491
13.6 Autismus492
13.7 Zusammenfassung493
III Diagnostik und Differenzialdiagnostik: Klassifikationen, Methoden und Probleme499
Einführung501
14 Allgemeine Fragestellungen503
14.1 Definitionen503
14.2 Funktionen und Aufgaben der Diagnostik in Dokumenten der Schulpraxis504
14.3 Ergebnisse des wissenschaftlichen Diskurses zur Diagnostik aus psychologischer Perspektive506
14.4 Erziehungswissenschaftliche Perspektiven einer Diagnostik im Förderschwerpunkt Sprache514
15 Klassifikationssysteme533
15.1 Die internationalen Klassifikationen der WHO: ICD- 10 und ICF533
15.2 Legasthenie - zur Begrifflichkeit in den Legasthenie- Erlassen der deutschen Bundeslânder539