: Liselotte Abid, Karin Leukefeld, Norman Paech, Carsten Wieland, Karin Kneissl, Stefan Brocza, Patric
: Fritz Edlinger, Tyma Kraitt
: Syrien Ein Land im Krieg. Hintergründe, Analysen, Berichte
: Promedia Verlag
: 9783853718087
: 1
: CHF 12.30
:
: Naher Osten
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Seit 2011 tobt ein Bürgerkrieg in Syrien. Beginnend mit einem Aufstand gegen das Regime von Bashar al-Assad im März dieses Jahres hat sich ein Flächenbrand durch das ganze Land gefressen, dem mindestens 200.000 Menschen zum Opfer gefallen sind und der Millionen zur Flucht gezwungen hat. Die Fronten werden von Monat zu Monat unklarer, und seit der sogenannte 'Islamische Staat' im Süden und Kurdenmilizen im Norden autonome Verwaltungen und Kriegsregime aufgezogen haben, kann von einem einheitlichen syrischen Staat nicht mehr gesprochen werden. Das Land in der Levante ist von der aktuellen Berichterstattung und den politischen Auseinandersetzungen rund um die Neugestaltung des Nahen und Mittleren Ostens nicht mehr wegzudenken. Die Dauer des Konflikts, die unklaren Machtverhältnisse und die Gefahr einer Destabilisierung der gesamten Region machen eine ausführliche Auseinandersetzung wichtiger denn je. Das Buch 'Syrien. Ein Land im Krieg. Hintergründe, Analysen, Berichte' bietet einen Einblick in die vielschichtigen Aspekte der syrischen Geschichte und Gesellschaft sowie in die strukturellen Ursachen des Bürgerkrieges. Einen weiteren Schwerpunkt stellen die fragilen Nachbarschaftsbeziehungen und die oftmals unbeständigen geostrategischen Allianzen dar. Eine ausführliche Zeittafel zur Geschichte des modernen Syrien - vom Zerfall des Osmanischen Reiches bis zu den aktuellen Ereignissen - und ein Literaturüberblick runden den Band ab.

Fritz Edlinger, geboren 1948 in Wien, ist Generalsekretär der 'Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen' und Herausgeber der Zeitschrift 'International'. Zuletzt veröffentlichte er den Band 'Libyen. Hintergründe, Analysen, Berichte' (Promedia Verlag 2011). Tyma Kraitt wurde 1984 in Bagdad geboren und lebt seit ihrer frühen Kindheit in Österreich. Sie studierte Philosophie an der Universität Wien. Zuletzt erschien von ihr der Titel 'Irak. Ein Staat zerfällt. Hintergründe, Analysen, Berichte' (Promedia Verlag 2015).

Eine alawitische Militärdiktatur? Zum Verhältnis von Staat, Militär und Religion in Syrien


Tyma Kraitt


Seit nunmehr fünfzig Jahren wird Syrien durchgehend von der Arabisch-Sozialistischen Baath-Partei regiert. Am 8. März 1963 rissen die Baathisten in einem blutigen Staatsstreich die Macht an sich. Sie etablierten eine Art Einparteiensystem, das die politische Landschaft homogenisierte, indem politische Gegner ausgeschaltet oder einverleibt wurden. Das gleiche System brachte aber unbestrittenermaßen auch Stabilität in ein Land, welches seit seiner Unabhängigkeit im Jahre 1946 als unregierbar galt. Nach fortwährenden internen Fraktionskämpfen setzte sich mit der Machtübernahme von Hafiz al-Assad der militärische Flügel innerhalb der Baath-Partei durch. Assad ist es als erstem Befehlshaber gelungen, die Armee hinter sich zu einen. Sein Erfolg markiert nicht nur das vorläufige Ende der politischen Aspirationen und Unruhen der Post-Unabhängigkeitsära, sondern auch den damaligen Höhepunkt des rasanten Aufstiegs der Alawiten vom Rande der syrischen Gesellschaft an deren Spitze. Unter Hafiz al-Assad wurden die gesellschaftspolitischen Widersprüche aus der französischen Mandatszeit, die der Dominanz der Minderheiten erst den Weg ebneten, im syrischen Staatsgefüge verankert. Dieser Umstand lässt sich auch dahingehend interpretieren, dass der Baathismus – eine sich auf die anti-koloniale Tradition des Panarabismus berufende Ideologie – nicht, wie dem eigenen Selbstverständnis nach, die kolonialen Machtverhältnisse behoben, sondern letztlich fortgesetzt hat.

Im gegenwärtigen politischen und medialen Diskurs wird das syrische Herrschaftssystem – das sogenannte »Regime« – in der Regel als eine von der Minderheit der Alawiten geführte Militärdiktatur präsentiert. Diese Darstellung ist keineswegs falsch, wird der Komplexität des syrischen Systems und seiner Genese aber kaum gerecht. Es stellt sich hier die Frage, wie es einer Minderheit von knapp über zehn Prozent überhaupt gelingen konnte, den Staat zu dominieren. Ist dies ohne jegliche Partizipation der Mehrheitsgesellschaft möglich? Welche Rahmenbedingungen, welche historischen Entwicklungen haben ihren Aufstieg begünstigt? Gerade das hohe Eskalationspotenzial der aktuellen Krise, ein möglicher Staatszerfall, eine Libanisierung bzw. Irakisierung des Konflikts machen eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Machtgefüge im syrischen Staat mehr als notwendig.

Die »Troupes Spéciales du Levant« als Aufstiegsvehikel


Wie bereits angedeutet, adaptierte das Baath-Regime jene gesellschaftspolitischen Widersprüche, die sich zum Teil auf die französische Fremdherrschaft zurückzuführen lassen und auch heute noch die aktuellen Konflikte mitprägen. Dazu zählt u. a. das starke Engagement syrischer Minoritäten in der Armee.

Nachdem die Franzosen 1920 das Mandat über den Libanon und Syrien übernahmen, wurden die levantinischen Spezialtruppen formiert. Diese bestanden aus libanesischen und syrischen Soldaten, die dem Kommando französischer Offiziere unterstanden und als Hilfstruppe zur Niederschlagung innenpolitischer Unruhen eingesetzt wurden. In den Reihen der Troupes Spéciales fanden sich zahlreiche Angehörige benachteiligter ländlicher Bevölkerungsgruppen und Minderheiten. Diese nutzten das Militär als Vehikel zum sozialen Aufstieg. Das galt vor allem für die unter osmanischer Herrschaft marginalisierten Alawiten, Anhänger einer gnostischen Sekte mit starken Bezügen zur Schia. Sie wurden während der Mandatszeit gefördert und gegen die sunnitische Mehrheitsbevölkerung aufgebracht.53

Im Rahmen der Troupes Spéciales ernannten die Franzosen vor allem Mitglieder der drusischen, christlichen oder alawitischen Minderheiten zu Offizieren, um den Offizierskorps dadurch an sich zu binden. Die syrische Legion innerhalb der Troupes Spéciales stellt den Ausgangspunkt für das syrische Militär in seiner heutigen Form dar.54 Schon in den ersten Jahren der Unabhängigkeit bewies das Militär (auch als Folge der arabischen Niederlage gegen Israel) seine Durchschlagskraft und entmachtete in einem vom CIA unterstützten Coup unter dem prowestlichen, kurdischen Oberst Husni az-Zaim 1949 die damalige Zivilregierung von Präsident Shukri al-Quwatli.55 Im selben Jahr kam es insgesamt zu zwei Staatsstreichen des Militärs. Dieser Umstand deutete bereits auf Differenzen innerhalb der Armee hin, da es keinem Befehlshaber gelungen ist, sich auf Dauer zu halten. Meist handelte es sich um konfessionelle, ethnische oder ideologische Differenzen. Letztlich konnte sich Oberst Adib Shishakli durchsetzen und von 1953 bis 1954 halten. Shishakli trieb die Überwindung der alten Strukturen voran, indem er