: Daniel Seikel
: Der Kampf um öffentlich-rechtliche Banken Wie die Europäische Kommission Liberalisierung durchsetzt
: Campus Verlag
: 9783593419862
: Schriften aus dem MPI für Gesellschaftsforschung
: 1
: CHF 29.00
:
: Vergleichende und internationale Politikwissenschaft
: German
: 259
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Öffentlich-rechtlich Banken galten über Jahrzehnte als Stützpfeiler des deutschen Kapitalismusmodells und waren tief in die politische Ökonomie der Bundesrepublik eingebettet. Dies änderte sich, als die Europäische Kommission im Jahr 2001 das europäische Wettbewerbsrecht gegenüber der nationalstaatlichen Bankenregulierung durchsetzte. Daniel Seikel untersucht, wie die Kommission durch die geschickte Kombination ihrer wettbewerbsrechtlichen Kompetenzen mit gezielten politischen Strategien die Liberalisierung des öffentlich-rechtlichen Bankenwesens erzwang. Ein Ereignis, das im Hinblick auf die Finanzkrise vor allem für die Landesbanken fatale Konsequenzen haben sollte.

Daniel Seikel, Dr. rer. pol., arbeitet im Sonderforschungsbereich 597 »Staatlichkeit im Wandel« an der Universität Bremen.
Kapitel 1: Einleitung

»Als ich dies zum ersten Mal aufgebracht habe [Gewährträgerhaftung und Anstaltslast], hatte ich eine erste Diskussion mit dem deutschen Vertreter hier, der sehr oft zu uns kam wegen Staatsbeihilfen [...]. Als ich das aufgebracht habe, wir haben über andere Sachen gesprochen, dann brachte ich das auf, oh, der war wütend: »Das wird nie geschehen, das werden Sie nie fertigkriegen, nie!« Und ich erinnere mich noch, als ob es gestern wäre, wie er aus meinem Büro rausgelaufen ist, ganz aufgeregt, und noch im Korridor schrie: »nie, nie!«. Und zehn Jahre später war es gemacht. Er hat das also falsch eingeschätzt. Er dachte, die Deutschen können wegkommen mit einer Regelung, die deutlich vertragswidrig ist.« (Interview XIX/GD Wettbewerb)

Während der Finanzkrise beherrschten neben US-amerikanischen und britischen Finanzinstituten ausgerechnet deutsche Landesbanken wegen ihrer Beteiligung an hoch spekulativen Finanzgeschäften die Schlagzeilen - allen voran die größten öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute, WestLB, BayernLB, HSH Nordbank und LBBW. Deutsche Landesbanken hatten »toxische« Wertpapiere in einem Volumen von insgesamt 500 Mrd. Euro angesammelt (Müller 2010: 36). Die Intensivierung des risikoreichen Kreditersatzgeschäfts war eine Reaktion der Landesbanken auf die vorangegangene Liberalisierung des deutschen öffentlichrechtlichen Bankenwesens durch die Europäische Union: Die Abschaffung von staatlichen Haftungsgarantien im Jahr 2001 hatte die Grundlage des herkömmlichen Geschäftsmodells der Landesbanken zerstört. Die Liberalisierung des deutschen Sparkassenwesens ist umso erstaunlicher, da die europäischen Mitgliedstaaten ursprünglich nicht vorgesehen - und vorhergesehen - haben, dass das europäische Recht als ein Hebel für die Veränderung nationaler Finanzsysteme dienen würde. Wie konnte sich die Kommission mit ihrem Liberalisierungsvorhaben dennoch gegen den entschlossenen Widerstand Deutschlands durchsetzen und den Vorrang des europäischen Wettbewerbsrechts über Bereiche, die vormals der nationalstaatlichen Regulierung vorbehalten waren, etablieren?

Die politisch geförderte Entwicklung von Sparkassen und Landesbanken ist der Ursprung eines inzwischen über hundert Jahre andauernden Konkurrenzkampfes zwischen privater und öffentlicher Bankenwirtschaft. Politiker förderten öffentlich-rechtliche Kreditinstitute, damit diese mit den dominierenden privaten Geschäftsbanken konkurrierten und somit ein Gegengewicht zur wirtschaftlichen und politischen Macht der großen Privatbanken bilden konnten. Öffentlich-rechtliche Banken sind daher seit jeher aggressive Konkurrenten der großen privaten Bankhäuser gewesen. Weder konnten private Geldinstitute ihre Marktanteile im Privatkundengeschäft ausbauen noch waren sie in der Lage, mit den niedrigen Zinssätzen zu konkurrieren, die die Landesbanken mittelständischen Unternehmen dank öffentlicher Garantien (Gewährträgerhaftung und Anstaltslast) anbieten konnten. Für die Privatbanken war es allerdings lange Zeit aussichtslos, die Privilegien ihrer öffentlichen Rivalen auf der nationalen Ebene anzugreifen; ein dichtes politisches Machtnetzwerk schützte die öffentlich- rechtlichen Kreditinstitute wirksam gegen alle Attacken.

Seit den frühen 1990er-Jahren befand sich das deutsche öffentlich-rechtliche Bankenwesen allerdings in einem s

Inhalt6
Vorwort10
Kapitel 1 – Einleitung12
1.1 Funktionen von Banken für die Steuerung kapitalistischer Ökonomien im Spannungsfeld von Staat und Markt16
1.2 Grundzüge des deutschen Bankensystems: Die Bedeutung öffentlich-rechtlicher Banken für das deutsche Kapitalismusmodell18
1.3 Grundlagen, Besonderheiten und Konfliktpotenziale der europäischen Beihilfekontrolle23
1.4 Die Liberalisierung öffentlich-rechtlicher Banken als erklärungsbedürftiges Ereignis27
1.5 Ausblick auf die Arbeit31
Kapitel 2 – Forschungsdesign40
2.1 Vorüberlegungen zur Forschungsheuristik: Kausale Mechanismen und die konfliktgetriebene Dynamik politischer Prozesse40
2.2 Fallauswahl und Fragestellung: Die Bedeutung von Einzelfällen für die Ausdehnung des Anwendungsbereichs europäischen Rechts42
2.3 Das Problem der Generalisierbarkeit von Befunden aus Einzelfallstudien44
2.3.1 Der Wert von Einzelfallstudien für Theoriebildung45
2.3.2 Suche nach kausalen Mechanismen mittels Prozess-Analyse46
2.4 Methodisches Vorgehen bei Erhebung und Auswertung der Daten49
Kapitel 3 – Die Überlegenheit der supranationalen Dynamik über die intergouvernementale Logik54
3.1 Strategiefähigkeit und autonome Gestaltungsmacht der Europäischen Kommission54
3.2 Warum ist die supranationale Dynamik der intergouvernementalen Logik überlegen?63
Kapitel 4 – Integrationsdynamiken in der Europäischen Union: Finanzmarktintegration und Wettbewerbsrecht66
4.1 Die politisch blockierte Integration von Märkten für Finanzdienstleistungen: Dominanz der Nationalstaaten66
4.2 Die Durchsetzung eines effektiven Beihilferegimes in der EU: Kommission und EuGH als strategisches Tandem71
Kapitel 5 – Der lange Kampf zwischen privater und staatlicher Wirtschaft im deutschen Bankenwesen86
5.1 Die Geschichte öffentlich-rechtlicher Banken in Deutschland86
5.1.1 Die Wurzeln des Sparkassenwesens (18. bis 20. Jahrhundert)87
5.1.2 Macht der Banken, Wettbewerb und Staat: Der Konflikt zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Banken im Rahmen ordnungspolitischer Konzeptionen im 20. Jahrhundert91
5.2 Der Konflikt um die Liberalisierung öffentlich-rechtlicher Banken in Deutschland130
5.2.1 Die Ausgangslage zu Beginn der 1990er-Jahre: Akteure, Interessen und Interessenkonflikte130
5.2.2 Die Europäisierung des Konflikts (1990 bis 1997)138
5.2.3 Das Scheitern nationaler Gegenstrategien: Die Machtprobe auf der Konferenz von Amsterdam (1997)149
5.2.4 Das Endspiel der Landesbanken (1997 bis 2004)153
5.2.5 Dammbruch? Die Zukunft öffentlich-rechtlicher Banken (2001 bis heute)168
Kapitel 6 – Sperrung, Entsperrung und Aktivierung von »schlafenden« Optionen: Das Zusammenspiel von ökonomischen Paradigmen, institutioneller Dynamik und strategischen Interaktionen178
6.1 Sperrung und Entsperrung rechtlicher Interventionsmöglichkeiten179
6.1.1 Wandel hegemonialer Konzeptionen über die Organisation von Staat und Wirtschaft179
6.1.2 Veränderungen von gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen: Die EU als neue Opportunitätsstruktur für private Akteure188
6.2 Aktivierung »schlafender« Optionen191
6.2.1 Individuelle motivationale Orientierungen192
6.2.2 Die Auswirkungen der Kommissionsstrategien auf die Koalition der Verteidiger199
6.3 Zusammenfassung: Kompatibilität und Selektion von Interessen und die Reproduktion von Hegemonie207
Kapitel 7 – Schlussbetrachtung214
7.1 Zusammenfassung der Ergebnisse214
7.2 Theoretische Schlussfolgerungen222
7.2.1 Theorien der europäischen Integration222
7.2.2 Die fehlende historische und kapitalismustheoretische Dimension der Integrationstheorien – erste konzeptionelle Überlegungen228
7.3 Daseinsvorsorge unter Druck233
Interview-Verzeichnis242
Abbildungen und Tabellen244
Abkürzungen246
Literatur248