Kapitel 1: Einleitung »Als ich dies zum ersten Mal aufgebracht habe [Gewährträgerhaftung und Anstaltslast], hatte ich eine erste Diskussion mit dem deutschen Vertreter hier, der sehr oft zu uns kam wegen Staatsbeihilfen [...]. Als ich das aufgebracht habe, wir haben über andere Sachen gesprochen, dann brachte ich das auf, oh, der war wütend: »Das wird nie geschehen, das werden Sie nie fertigkriegen, nie!« Und ich erinnere mich noch, als ob es gestern wäre, wie er aus meinem Büro rausgelaufen ist, ganz aufgeregt, und noch im Korridor schrie: »nie, nie!«. Und zehn Jahre später war es gemacht. Er hat das also falsch eingeschätzt. Er dachte, die Deutschen können wegkommen mit einer Regelung, die deutlich vertragswidrig ist.« (Interview XIX/GD Wettbewerb) Während der Finanzkrise beherrschten neben US-amerikanischen und britischen Finanzinstituten ausgerechnet deutsche Landesbanken wegen ihrer Beteiligung an hoch spekulativen Finanzgeschäften die Schlagzeilen - allen voran die größten öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute, WestLB, BayernLB, HSH Nordbank und LBBW. Deutsche Landesbanken hatten »toxische« Wertpapiere in einem Volumen von insgesamt 500 Mrd. Euro angesammelt (Müller 2010: 36). Die Intensivierung des risikoreichen Kreditersatzgeschäfts war eine Reaktion der Landesbanken auf die vorangegangene Liberalisierung des deutschen öffentlichrechtlichen Bankenwesens durch die Europäische Union: Die Abschaffung von staatlichen Haftungsgarantien im Jahr 2001 hatte die Grundlage des herkömmlichen Geschäftsmodells der Landesbanken zerstört. Die Liberalisierung des deutschen Sparkassenwesens ist umso erstaunlicher, da die europäischen Mitgliedstaaten ursprünglich nicht vorgesehen - und vorhergesehen - haben, dass das europäische Recht als ein Hebel für die Veränderung nationaler Finanzsysteme dienen würde. Wie konnte sich die Kommission mit ihrem Liberalisierungsvorhaben dennoch gegen den entschlossenen Widerstand Deutschlands durchsetzen und den Vorrang des europäischen Wettbewerbsrechts über Bereiche, die vormals der nationalstaatlichen Regulierung vorbehalten waren, etablieren? Die politisch geförderte Entwicklung von Sparkassen und Landesbanken ist der Ursprung eines inzwischen über hundert Jahre andauernden Konkurrenzkampfes zwischen privater und öffentlicher Bankenwirtschaft. Politiker förderten öffentlich-rechtliche Kreditinstitute, damit diese mit den dominierenden privaten Geschäftsbanken konkurrierten und somit ein Gegengewicht zur wirtschaftlichen und politischen Macht der großen Privatbanken bilden konnten. Öffentlich-rechtliche Banken sind daher seit jeher aggressive Konkurrenten der großen privaten Bankhäuser gewesen. Weder konnten private Geldinstitute ihre Marktanteile im Privatkundengeschäft ausbauen noch waren sie in der Lage, mit den niedrigen Zinssätzen zu konkurrieren, die die Landesbanken mittelständischen Unternehmen dank öffentlicher Garantien (Gewährträgerhaftung und Anstaltslast) anbieten konnten. Für die Privatbanken war es allerdings lange Zeit aussichtslos, die Privilegien ihrer öffentlichen Rivalen auf der nationalen Ebene anzugreifen; ein dichtes politisches Machtnetzwerk schützte die öffentlich- rechtlichen Kreditinstitute wirksam gegen alle Attacken. Seit den frühen 1990er-Jahren befand sich das deutsche öffentlich-rechtliche Bankenwesen allerdings in einem s |