Es ist Freitag vor dem ersten Advent, und es fängt schon mal gut an.
Viviane schließt ihre Haustür ab, hüpft zu meinem Wagen und gleitet durch die Tür, die ich ihr aufhalte. Obwohl sie einen Mantel trägt, kann ich tief in ihr Dekolleté sehen. Den Rest packe ich später aus. Viviane weiß es zwar noch nicht, aber heute Nacht ist sie fällig.
Ich setze mich hinter das Steuer und starte den Wagen, den ich mir mit einem großzügigen Journalistenrabatt zugelegt habe. Ich steuere ihn aus dem prekären Neuköllner Kiez, in dem Viviane wohnt, heraus und fahre sie in meine Welt. Die große weite. Das Zentrum von Berlin.
Viviane zieht ihre Knie zu sich heran. »Ich hatte dein Auto irgendwie größer in Erinnerung. Was ist das für ’ne Marke?«
»Ein Fiat. Sehr praktisch im Stadtverkehr. Und optisch auch irgendwie ansprechend, oder?«
»Stimmt. Süß.«
Viviane klappt die Sonnenblende herunter und inspiziert sich im Spiegel. Sie murmelt: »Wie war dein Tag?«
»Locker eigentlich. Aber auf den letzten Drücker wurde es noch mal hektisch. Fast wäre ich zwangsverpflichtet worden, ein Stück für die Nachtausgabe zu machen.«
»Wirklich? Ist was passiert?«
»Kannst du wohl sagen. Erst haben die Gullideckel-Attentäter wieder zugeschlagen …«
»Du meinst: die Chaoten, die dauernd Gullideckel von Brücken runterschmeißen?«
Ich nicke. »Das sechste Mal jetzt schon. Kurz hinter Hamburg. Mitten auf die Eisenbahnschienen. Und wie immer haben sie auf Arabisch darauf geschrieben: ›Fahrt zur Hölle, Ungläubige!‹ Zum Glück hat der nächste Zug rechtzeitig gebremst. Sonst hätte es Tote gegeben. Und ich hätte berichten müssen.«
»Und sonst war nachrichtenmäßig nichts los?«
»Doch, die Steuererhöhungsdebatte zum Beispiel. Auch da sollte ich zuerst ein Stück produzieren, aber dann kam das Erdbeben dazwischen.«
»Was denn für ein Erdbeben?«
»Das in Indonesien. Hast du das noch gar nicht mitbekommen?«
»Wie denn? Ich war doch beim Friseur.«
»Stärke neun. Erst hieß es: nur hundert Tote. Das wäre dann bloß eine kurze Wortmeldung gewesen. Aber jetzt sind es schon über fünftausend …«
»Wie schrecklich!«
»… und damit ist es natürlich Top News. Das machen dann unsere Korrespondenten vor Ort. Und ich hab frei. Also noch mal Glück gehabt.«
»Na ja, die Menschen in Indonesien wohl eher nicht.«
»Stimmt. Wir wollen ja nicht zynisch sein.«
Viviane hat recht. Aber so ist die Welt nun einmal. Es gibt Gewinner, und es gibt Verlierer, und ich kann nichts dafür, dass ich immer auf der Gewinnerseite stehe.
Mein Name ist Programm. Ich heiße Hey. Sascha Hey. Hey wieHigh.
So fühle ich mich. So bin ich. Oben.
***
Ich parke meinen Fiat in der Nähe des Bahnhof Zoo. Ein paar hundert Meter weiter liegt das Interconti. Die Hotelfassade wird von Lichtkanonen angestrahlt. Gl