Und das Glück ist anderswo
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Stefanie Zweig
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Und das Glück ist anderswo
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LangenMüller
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9783784481210
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1
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CHF 7.80
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Erzählende Literatur
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German
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317
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DRM
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PC/MAC/eReader/Tablet
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PDF
1967 kommt Liesel Procter zurück nach Kenia, in das Land, das ihren Eltern einst Zufluchtsort war, für sie aber nie Heimat geworden ist. Liesel wird von ihren Erinnerungen überwältigt. Ihr Mann Emil, der in London aufgewachsen ist, gewöhnt sich rasch an das afrikanische Leben, während die Kinder den Familienurlaub zunächst eher langweilig finden. Dann aber werden sie mit der Vergangenheit ihrer Eltern konfrontiert, über die bisher nie gesprochen wurde. Hier in Kenia hat die Familie Zerreißproben zu bestehen, die auch das Leben der Kinder entscheidend verändern werden ...
4 Samy und Martha
(S. 100-102)
London, Frühjahr 1967
Am 15. Mai 1967 schrieb David in sein Tagebuch »Heute ist schon die Hälfte unserer Ferien um. Ganz großer Jammer beim besten Schüler von Rabbi White. In Afrika vergeht die Zeit doppelt so schnell wie zu Hause. Ich hätte nie gedacht, dass mir das Leid tut. Wenigstens wird sich Granny freuen, wenn wir in einer Woche wieder da sind. Die arme alte Frau muss ganz schön einsam sein ohne uns.« Davids Mutmaßungen entsprachen nur in Bezug auf die zu erwartende Wiedersehensfreude der Wirklichkeit. Ihm blieben noch acht Tage Zeit, ehe er zum ersten Mal mit dem Umstand konfrontiert werden sollte, dass im Leben am wenigsten Verlass auf Beständigkeit ist. Wesentlich weniger Zeit würde seine Großmutter haben, um den Ihrigen klar zu machen, dass sie weit jünger war als von ihnen angenommen und weder bedauernswert noch vereinsamt.
Seit ihrem Umzug von Londiani in das Haus von Tochter und Schwiegersohn hatte sich Martha Freund absolut getreu den Vorstellungen ihrer Generation verhalten. In aller Augen – auch in den eigenen – war sie eine würdige Witwe. Von der kam noch nicht einmal eine Andeutung, sie könnte irgendwelche Ansprüche jenseits von guten und geregelten Mahlzeiten und einem Zimmer mit eigenem Zugang haben. Am allerwichtigsten: Sie zeigte sich stets stolz und zufrieden mit ihrer Rolle als hingebungsvolle Großmutter und empfand es immer noch als Kompliment, dass sie ihr Schwiegersohn eine »Patentoma« nannte und ihr zum Muttertag immer ein Sträußchen Vergissmeinnicht überreichte.
Martha war nun neunundfünfzig Jahre alt, zur Begeisterung der Procters eine rastlos tätige und einfallsreiche Hausfrau, vorwiegend gesund und an allem interessiert, das ihren Geist bewegte. Das ließ sie sich allerdings nur in Ausnahmefällen anmerken – war sie allein im Haus, rezitierte sie beispielsweise beim Pulen von Erbsen Schillers »Taucher« und das, was ihr von seiner »Glocke« nach dem Schock der Auswanderung und fünfzehn Jahren afrikanischem Farmleben noch im Gedächtnis geblieben war. Zudem war diese liebenswert bedürfnislose Großmutter sehr kontaktfreudig. Wann immer sie konnte, trotzte sie den ironischen Bemerkungen ihrer Tochter und nahm an den Treffen ehemaliger deutscher und österreichischer Juden teil. Die fanden an jedem ersten Mittwoch im Monat im Heim einer wohlhabenden Zahnarztwitwe aus Graz statt. Deren schönes altes Haus hatte eine so gute Lage, dass nach dem Kaffee – mit einer Sachertorte, wie es sie noch nicht einmal in dem Wiener Café im Bezirk Hendon gab – meistens erholsame Spaziergänge in Hampstead Heath auf dem Programm standen.
Die Frage, ob ihre häuslichen Pflichten zum Glück reichten oder ob die ständige Verleugnung der eigenen Bedürfnisse ihr wohl bekam oder nicht, stellte Martha sich nie. Sehr dankbar war sie dem Schicksal, dass es sie mit einem so zärtlichen und sanften Schwiegersohn bedacht hatte. Emil erwärmte ihr Herz und ihre Seele, mit jedem Wort und jeder Geste ließ er sie spüren, dass er in ihr die Mutter sah, die ihm als Zehnjährigem genommen worden war. Ebenso wohltuend bestätigten ihr die Enkel, dass es keinen Grund mehr für die depressiven Verstimmungen gab, die ihr Leben nach dem frühen Tod ihres Mannes lange Zeit umschattet hatten. Vor allem David brachte Heiterkeit und Herzlichkeit in Marthas Leben. Er umarmte sie ohne Scheu und meistens auch ohne Anlass.
Die lange Reise
8
Der Stachel der Wehmut
37
Die Tücke der Erinnerungen
68
Samy und Martha
101
Morgens um sieben...
134
Der Irrtum
165
Davids Aufbruch
196
Zimmer mit Meeresblick
226
Merci, Minouche!
256
Die Heimkehr
287