Es ist nicht selbstverständlich, dass Menschen ihrem Verhalten und Erleben ein einheitliches Zentrum im Inneren zuschreiben. Das »Innere« wurde erst in der »psychologischen Wende in der europäischen Religionsgeschichte«
86 in der »Achsenzeit« um das 6. Jh. v. Chr. bei jüdischen Propheten und griechischen Philosophen entdeckt. Der Mensch lernte damals, sich in seinem Selbstverständnis von allem zu unterscheiden, was nicht zu seiner Person gehört. Er entdeckte den »inneren Menschen« und erfand ihn mit seiner Entdeckung.
87 Bei psychischen Phänomenen gehören Erkennen und Erkanntes zur selben psychischen Realität. Daher kann die Erkenntnis hier mehr als bei anderen Gegenständen das Erkannte formen und schaffen. Mit der Entdeckung und Erfindung des »inneren Menschen« begann die vorwissenschaftliche Psychologie. Einige allgemeine Kategorien sind für ihre Analyse hilfreich und seien daher vorweg vorgestellt.
In den Entwürfen eines psychologischen Selbstverständnisses des Menschen können wir
Architektur und
Dynamik der Psyche unterscheiden. In ihrer Architektur lassen sich obere und untere Schichten, leitende und abhängige Instanzen, Zentrum und Peripherie erkennen. Dabei wird die Struktur der Psyche techno-, bio- oder soziomorph gedeutet.
88Technomorph kann der Mensch seinen Körper als Instrument eines Steuerungsorgans auffassen. Wenn der Mensch sein Inneres heute manchmal als einen komplizierten Computer versteht, ist das eine technomorphe Selbstauslegung.
Biomorph kann der Mensch seine seelischen Organe als Körperteile deuten: Aus Organseelen wurden in der Geschichte oft Seelenorgane. Die Deutung des Seelenlebens nach Funktionen von Gehirnteilen, wie sie sich in der Gegenwart immer mehr verbreitet, ist eine biomorphe Selbstinterpretation. Schließlich kann der Mensch sein Innenleben
soziomorph als das Leben einer Gesellschaft im Kleinen interpretieren – mit einem Herrscher an der Spitze und Befehlsempfängern unter ihm. Die psychoanalytische Un