In diesem Band werden in 120 Stichworten alle aktuellenThemen der Medizinischen Psychologie und Medizinischen Soziologie alphabetisch sortiert besprochen. Das Themenspektrum reicht dabei von A wie Abwehrmechanismenüber Emotion, Lernen, Methodik, Persönlichkeit usw. bis zu Z wie Zahnmedizin. Die Auswahl der Einträge orientiert sich am Gegenstandskatalog Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie in der aktuellen Auflage. Die alphabetische Gliederung, umfangreiche Querverweise und ein Stichwortverzeichnis ermöglichen eine sehr gute Orientierung und das Weiterlesenüber das eigentliche Stichwort hinaus.Die Herausgeber:Dr. Hendrik Berth, geb. 1970. Studium der Psychologie in Dresden. 2003 Promotion. Seit 2000 Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie am Zentrum für Seelische Gesundheit, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden.Prof. Dr. Friedrich Balck, geb. 1945. Studium der Psychologie, Philosophie, und Soziologie in Hamburg. 1982 Promotion. 1986 Habilitation. Seit 1996 Professor für Medizinische Psychologie. Leiter der Abteilung Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie am Zentrum für Seelische Gesundheit, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden.Prof. Dr. Elmar Brähler, geb. 1946. Studium der Mathematik und Physik in Gießen. 1976 Promotion. 1980 Habilitation in Medizinischer Psychologie. 1985 Ernennung zum Honorarprofessor in Gießen, 1991-1994 Gastprofessor an der Universität Leipzig. Seit 1994 Leiter der Selbstständigen Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig.
Anamneseexploration und Interview (S. 27)GK-Nr. 2.2.1, 2.2.2 Friederike Stölzel Die Anamnese ist die Vorgeschichte des Kranken (griech.: anamnesis = Wiedererinnerung). Für die Arzt-Patient-Beziehung und den Aufbau eines gemeinsamen Arbeitsbündnisses ist der Erstkontakt zwischen Arzt und Patient von großer Bedeutung. Vor allem durch Erhebung der Anamnese und Exploration des Patienten in einer für beide angenehmen und vertrauenswürdigen Situation sollen die Informationen erhoben werden, die für die Therapieplanung als auch letztendlich für den Therapieerfolg entscheidend sind. Die Beziehung zwischen Arzt und Patient stellt das Kernstück der klinischen Medizin dar (Stewart, 1995). Maßgeblich beteiligt an der Entstehung der Arzt-Patient- Beziehung ist der Erstkontakt, an den sowohl Arzt als auch Patient Erwartungen haben.Erstkontakt Erwartungen aus Arztperspektive: Zunächst einmal begegnet der Arzt dem Patienten mit einem bestimmten Krankheitsmodell, dem vorwiegend organzentriert und sachlichen Modell. Die Wahrnehmung des Patienten kann durch Erwartungen des Arztes verzerrt werden, so können etwa bestimmte Beurteilungsfehler das Stellen einer Diagnose erschweren. Stereotype, d. h. stark vereinfachte Vorstellungenüber eine Personenkategorie oderüber ein anderes soziales Objekt (z. B. das so genannte„Mittelmeersyndrom":„Südländische Männer sind schmerzempfindlicher") können die Wahrnehmung und das Urteilüber einen Patienten ebenso beeinflussen wie der„Primacy-Effekt" und/oder der„Recency-Effekt", was bedeutet, dass der erste und/ oder der letzte Eindruck entscheidend für die Beurteilung des Patienten sind. Auch die Einschätzung der Angemessenheit des Beratungsanlasses kann den Eindruck des Arztes mitbestimmen. Erwartungen aus Patientenperspektive: Im Gegensatz zu eher sachlichen, nicht personenbezogenen Erwartungen des Arztes haben Patienten häu. g persönlichere Erwartungen an die Rolle des Arztes. So kann eine Diskrepanz zwischen dem Wunsch des Arztes, die Symptome präzise zu klären und den Erwartungen des Patienten, z. B. einfühlendes Verständnis (Empathie) für seine Beschwerden zu erhalten, entstehen. Neben Empathie erwarten Patienten vonÄrzten u. a. Gewissenhaftigkeit, Fachkompetenz, dass sie sich Zeit nehmen und Informationenüber Krankheiten verständlich und bereitwillig vermitteln. Vorerfahrungen der Patienten mit dem medizinischen System beeinflussen die Erwartungen. Hat man z. B. einen sehr positiven Klinikaufenthalt hinter sich, kann das die positiven Erwartungen an den Arztbesuch verstärken. Neben den allgemeinen Vorerfahrungen spielen die Vorkenntnisse des Patientenüber seine Erkrankung und seine subjektiven Erklärungen, Einstellungen (Krankheitsüberzeugungen, z. B. Health-Belief-Modell) und Kontrollüberzeugungen eine große Rolle, da sie unter anderem die Erwartungen in Bezug auf die Betreuung und die Informationsvermittlung beeinflussen.Exploration und AnamneseDie Anamneseerhebung ist Voraussetzung für zielsichere Diagnostik und Therapie. Sie besteht aus mehreren Punkten, die exploriert werden müssen: Die Jetzige Anamnese oder Krankheitsanamnese ist die detaillierte Exploration des momentanen Leidens, dessen Entstehung und Verlauf. Sie beinhaltet auch die Theo rie des Patientenüber die Erkrankung. In der Erkrankungsanamnese oder persönlichen Anamnese werden frühere Erkrankungen (in Kindheit und Erwachsenenalter) erhoben. Sie müssen nicht mit den jetzigen Beschwerden in Zusammenhang stehen, sondern werden zwecksÜberblicküber den körperlichen Allgemeinzustand und eventuelle Risikofaktoren erfragt. Die Entwicklungsanamnese umfasst die Exploration der psychischen Entwicklung des Patienten, um u. a. Hinweise auf typische Interaktionsmuster, mögliche psychische Ressourcen (Stärken) und die Art der Stressbewältigung zu bekommen.