: Andreas Beelmann, Tobias Raabe
: Dissoziales Verhalten von Kindern und Jugendlichen (Reihe: Klinische Kinderpsychologie, Bd. 10)
: Hogrefe Verlag Göttingen
: 9783840920417
: 1
: CHF 19.50
:
: Angewandte Psychologie
: German
: 267
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF

Dissoziale Verhaltensprobleme wie oppositionelles, aggressives, delinquentes und kriminelles Verhalten sind unter Kindern und Jugendlichen weit verbreitet. Sie verursachen in unserer Gesellschaft beträchtliche Kosten, sei es auf Seiten potenzieller Opfer, sei es auf Grund von materiellen Schäden oder wegen der Betreuungsprobleme in Familie, Schule und anderen Einrichtungen unseres Sozialsystems. Der Band befasst sich mit den verschiede-nen Erscheinungsformen, ihren entwicklungspsychologischen und klinischen Grundlagen sowie den Möglichkeiten der Prävention und Behandlung dieser Verhaltensprobleme.

Neben einleitenden Fragen zur Beschreibung und Diagnostik disso-zialen Verhaltens bildet eine Zusammenfassung der entwicklungs-psychopathologis hen Forschung zu Risiko- und Schutzfaktoren einen ersten Schwerpunkt des Buches. Ein zweiter Schwerpunkt dient der Darstellung verschiedener Präventions- und Interventi-onsansätze. Hier werden vor allem Programme der sozialen Kompetenzförderung für Kinder, Elternprogramme zum Training von Erziehungskompetenzen sowie multimodale Präventionskonzepte und Behandlungsmaßnahmen bei jugendlichen Straftätern vorge-stellt und diskutiert. Dabei werden bekannte, aber auch aktuelle und innovative Ansätze besprochen und jeweils im Hinblick auf die wissenschaftliche Fundierung detailliert bewertet. Der Band bietet damit aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zur Entwicklung, Prävention und Behandlung dissozialer Verhaltensprobleme.

Die Autoren

Prof. Dr. Andreas Beelmann, geb. 1962. 1984-1990 Studium der Psychologie, Soziologie und Gesundheitswissenschaften in Bielefeld. Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent an den Universitäten Bielefeld und Erlangen-Nürnberg. 1994 Promotion. 2001 Habilitation. 2003-2004 Vertretungsprofessor für sozial-emotionale und kommunikative Lern- und Entwicklungsförderung an der Heilpädagogischen Fakultät der Universität Köln. Seit 2004 Professur für Forschungssynthese, Intervention und Evaluation am Psychologischen Institut der Friedrich-Schiller-Universit& uml;t Jena. Arbeitsschwerpunkte: Prävention kindlicher Verhaltensstörungen, Entwicklungspsychopathologie sozialer Verhaltensprobleme, Probleme und Methoden der Wirksamkeitsforschung und integrativen Forschung (Meta-Analysen).

Dipl.-Psych. Tobias Raabe, geb. 1982. 2000-2006 Studium der Psychologie in Jena. Seit 2006 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung für Forschungssynthese, Intervention und Evaluation der Universität Jena. Arbeitsschwerpunkte: Entwicklungspsychopathologie, Akkulturation und Entwicklung, Delinquenz jugendlicher Immigranten, Entwicklung von Vorurteilen bei Kindern und Jugendlichen.

6 Rehabilitation jugendlicher Straftäter (S. 195-196)

Während vor mehr als drei Jahrzehnten mit der„Nothing works"-Hypothese (Martinson, 1974) angenommen wurde, dass selbst die besten Psychotherapien oder Bildungsmaßnahmen nicht zu einer signifikanten Reduktion der Rückfallraten von Straftätern beitragen, begann sich Anfang der 1990er Jahre die wissenschaftliche Meinung durchzusetzen, dass einige Maßnahmen unter bestimmten Bedingungen bei bestimmten Personen wirken (z.B. Izzo& Ross, 1990). Dies war vor allem dem Umstand geschuldet, dass systematische Forschungszusammenfassungen und Meta- Analysen kleine, aber signifikante Effekte fanden sowie zum Teil große Wirksamkeitsunterschiede zwischen den Behandlungsmaßnahmen bestätigen konnten (vgl.Übersicht in Lösel, 1995, Lösel& Bender, 2005).

Wir möchten diese Diskussion aufgreifen und im Folgenden verschiedene juristische, sozial-pädagogische und psychotherapeutische Maßnahmen bei jugendlichen Straftätern vorstellen und kritisch erörtern. Im Vergleich zu den in Kapitel 5 dargestellten präventiven und interventiven Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen liegen bei den Behandlungsmaßnahmen für jugendliche Straftäter besondere Rahmenbedingungen vor. So sind etwa Behandlungen im Straftäterbereich nicht allein auf eine Vermeidung zukünftiger Straftaten ausgerichtet, sondern dienen auch dem Schutz der Gesellschaft oder sind an einer Wiedergutmachung des entstandenen Schadens orientiert. Anders jedoch als Rehabilitationsmaßnahmen im Bereich erwachsener Straftäter sind Behandlungsmaßnahmen im Jugendalter gemäß Jugendgerichtsgesetz (JGG) am Erziehungsgedanken ausgerichtet.

Das heißt, dass sich die Strafverfolgung und Strafzumessung weniger an der Tat als an der Person des Täters und der pädagogischen Funktion von Strafe orientieren. Dabei wird vor allem der Gedanke der Diversion verfolgt. Von Diversion wird gesprochen, wenn von einer weiteren Strafverfolgung und Inhaftierung zugunsten einer Verfahrenseinstellung oder sozial-pädagogischer und psychotherapeutischer Maßnahmen abgesehen wird. Diese sogenannten ambulanten Maßnahmen sind im Vergleich zu den traditionellen juristischen Sanktionen (Auflagen, Arrest, Haft) sehr heterogen, haben sich aber offenbar im Jugendstrafrecht weitgehend durchgesetzt (Dünkel, Geng& Kirstein, 1998, Heinz& Storz, 1992).

6.1 Arrest und Jugendhaft

Unter der Fülle von Rehabilitationsmaßnahmen stellen der Arrest (kurzzeitiger Freiheitsentzug bis zu vier Wochen) und die Jugendhaft (Unterbringung in einer Jugendstrafanstalt) die schärfsten und in ihrer Wirkung umstrittensten Maßnahmen dar (Greve, 2001). Das Ziel einer erzieherisch gestalteten Jugendhaft ist es, straffällig gewordene Jugendliche„zu einem rechtschaffenen und verantwortungsbewussten Lebenswandel" zu führen, ohne dass sie zukünftig Konflikte mit dem Gesetz eingehen (§91 JGG). Betrachtet man allerdings die Rückfallraten bei Jugendlichen, so klaffen Anspruch und Wirklichkeit zunächst stark auseinander: Durchschnittlich drei von vier Jugendlichen in Jugendstrafanstalten werden erneut zu einer Jugend- bzw. Freiheitsstrafe verurteilt. Kerner, Dolde und Mey (1996) kamen beispielsweise in ihren Untersuchungen auf eine Rückfallrate von 77% innerhalb von fünf Jahren nach Haftentlassung.

Auch Jehle und Weigelt (2004) berichten vonüber 80% erneut verurteilten Jugendlichen unter Straftätern mit ein- bis zweijähriger Jugendhaft, wenn man sämtliche Wiederverurteilungen (z.B. auch Geldstrafen) berücksichtigt. Selbst sehr konservative Schätzungen gehen von mindestens 50% rückfälliger Jugendlicher aus (Lösel, 1995). Die Rückfallwahrscheinlichkeit erreicht dabei durchschnittlich im achten Monat nach der Haftentlassung den Höhepunkt (Hosser, Windzio& Greve, 2005). Sie ist umso höher, je jünger die Strafgefangenen sind, je schwerer die Straftat war, je mehr Straftaten vorausgegangen sind und ist besonders hoch, wenn es sich um eine aggressive Straftat handelte (Lösel, 2000, Tarolla, Wagner, Rabinowitz& Tubman, 2002).

Inhaltsverzeichnis6
Vorwort10
1 Einleitung12
2 Definition, Klassifikation und Diagnostik18
2.1 Definition und Klassifikation18
2.2 Diagnostik und Erhebungsinstrumente25
2.2.1 Ziele und Einsatzgebiete diagnostischer Methoden25
2.2.2 Erhebungsinstru