Sozialpsychologische Theorien zur sozialen Macht (S. 11-12)
Erich H. Witte& Niels van Quaquebeke
1 Was manüber Macht zu wissen meintFragen der Macht begegnen uns in den verschíedensten Kontexten. Mal sind wir persönlich betroffen, mal auch nur Zuschauer, mal sind wir mächtig, mal ohnmächtig– wir alle haben, in welcher Form auch immer, Erfahrung mit Macht und mit dem Umgang damit gemacht. Als Elternüben wir Machtüber unsere Kinder aus, als Kinder kämpfen wir dagegen an. In einer Paarbeziehung versuchen wir uns unseren Partner so zurecht zu biegen, dass er unseren Ansprüchen entspricht und das Zusammenleben sich für uns möglichst angenehm gestaltet. Und was wir mit unserem Partner versuchen, versuchen wir auch mit unseren Vorgesetzten. So manches Mal beneiden wir Personen in den oberen Hierarchie-Ebenen unserer Gesellschaft, die in den Chefetagen, die etwas zu sagen haben– und doch sind wir uns häufig nicht ganz sicher, ob wir mit ihnen tauschen wollten, wenn wir mit der Macht auch die schwere Bürde der Verantwortung zu tragen hätten. In dem komplexen Spiel um Macht benutzen wir Strategien und Techniken, schätzen Chancen und Risiken ab. Häufig legen (zu unserem Leidwesen) schon formale Kriterien das Ausmaß und die Einflussrichtung von Macht fest. Dabei gibt es hintergründige, aber auch sehr offensichtliche Machtausübungen. Was ist Macht? Was wissen wirüber Macht? Für gewöhnlich sehen wir Macht vor allem im politischen oder religiösen Kontext, etwa in Gestalt von hervorstechenden Persönlichkeiten, die Menschenmassen dazu bringen können, in einen Krieg zu ziehen oder Menschen zu vertreiben. Aber was ist mit den vielen positiven Aspekten von Macht: Macht, die dazu eingesetzt wird, Gutes voranzutreiben, Produktivkräfte freizusetzen, Missstände zu beheben? Wir neigen häufig dazu, nur die eine Seite der Medaille zu betrachten: Macht als Autorität wider unseren Willen. Das Geflecht der Macht in der sozialen Wirklichkeit ist aber vielschichtiger.
Macht ist allgegenwärtig. Nicht zuletzt deswegen wird der Begriff der„Macht“ in den Sozialwissenschaften mit dem Begriff der„Energie“ (Lage, Bewegung, Wärme, Elektrizität) in den Naturwissenschaften (Russell, 1938) verglichen. Er ist so zentral für das Verständnis sozialer Phänomene, wie es die Energie für physikalische Phänomene ist. Das Verstehen von Machtprozessen ist nicht minder komplex als das Verständnis von energetischen Prozessen. Macht lässt sich nicht einfach ablesen.
Sie folgt keiner Logik, die sich einfach aus der Evolutionstheorie ableiten ließe. Sie ist kein unidirektionales Phänomen. Zur Machtausübung gehören immer zwei: der Machtausübende und jemand, der sich beherrschen lässt. Macht kann also, wie wir angedeutet haben, ganz verschiedene Erscheinungsformen haben. Verwirrend kommt hinzu, dass Situationen, in denen Macht eine Rolle spielt, auch noch häufig von den betroffenen Akteuren im Feld emotional aufgeladen werden. Macht ist also immer auch ein emotionales Spielfeld– auch für die Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen. Es ist daher von besonderer Bedeutung, auf eine differenzierte wissenschaftliche Begriffsbildung zu achten. In Folge streben wir eine funktionale Differenzierung des sozialpsychologischen Machtbegriffes an, in der die wesentlichen Elemente und ihre Relationen angeführt werden.
2 Was manüber Macht wissen sollte
Von Macht existieren zahlreiche Definitionen (Haugaard, 2002; Witte, 2002). Nach unserem sozialpsychologischen Verständnis ist Macht immer eine zweistellige, aber asymmetrische Relation zwischen einem Machthaber (M) als Person und einem Beherrschten (B), der ein System unterschiedlichen Umfangs darstellen kann (Individual-, Mikro-, Meso-, Makrosystem). Dabei kann M als Machthaber außerdem durch verschiedene Systemumfänge in seiner Machtposition gestützt werden (Individual-, Mikro-, Meso-, Makrosystem). Im Zentrum steht zwar immer das Machthandeln einer Person, sie kann jedoch durch unterschiedliche Arten der Rollenzuweisung dazu legitimiert sein: als Individuum durch spezielle persönliche Eigenschaften, im Mikrosystem zum Beispiel durch die Vaterrolle oder die Funktion eines Vorgesetzen, im Mesosystem etwa als Geschäftsführer einer Bank, oder im Makrosystem als Bundeskanzlerin oder Religionsführer.Über diese Relation seitens M wird das Verhalten von B in dem Bereich (Z) durch Einflussnahme verändert. Hierzu wendet M Machtmittel (Q) unter der Nutzung von Ressourcen (R) an, die diesem in der Höhe (H) zur Verfügung stehen. Eine Anstrengung (A) wird unternommen, um das Verhalten von B mit einer Wahrscheinlichkeit (Y) und einem Ausmaß (X) bei einem gleichzeitigen Widerstand (W) zu verändern. Versucht man diesen sehr komplexen Begriff formal darzustellen, so ergibt sich: |