Riskanter Alkoholkonsum Früherkennung, Kurzintervention und Behandlung
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Martin Sieber
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Riskanter Alkoholkonsum Früherkennung, Kurzintervention und Behandlung
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Hogrefe AG
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9783456942025
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1
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CHF 15.80
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Angewandte Psychologie
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German
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144
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Wasserzeichen/DRM
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PC/MAC/eReader/Tablet
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PDF
In der ärztlichen und psychotherapeutischen Praxis erscheinen oft Klienten, die anscheinend ein Alkoholproblem haben, jedoch nicht deswegen in die Sprechstunde gekommen sind. Ärzte oder Psychotherapeuten müssen sich dann die Frage stellen, in welcher Form und wie intensiv sie die Person auf die Alkoholproblematik ansprechen sollen. Sie müssen mit abweisenden Reaktionen, ja mit Abbruch der therapeutischen Beziehung rechnen.
Dieses Spannungsfeld wird im vorliegenden Buch angesprochen und ein Vorschlag unterbreitet, wie solche Situationen angepackt werden können. Im Hintergrund steht eine therapeutische Grundhaltung, die beide Seiten als"Experten" deklariert. Ferner wird speziell auf die"Motivationsarbeit" verwiesen, d.h. auf den Aufbau in kleinen Schritten. Denn bewusst geplante und eingeleitete Verhaltensänderungen wirken nachhaltiger als unreflektierte, oft zu hoch gegriffene Ziele.
Die Kurzintervention in der hausärztlichen Praxis hat entscheidende Bedeutung, da der Hausarzt oft die erste Fachperson ist, die das Alkoholproblem erkennen kann. Umso wichtiger ist ein realistisches, unaufwändiges Konzept für die Früherkennung und Behandlung.
3. Kurzintervention
(S. 33-34)
Aufgrund der Abklärung des Risikokonsums (Kap. 2) und der übrigen Informationen, die der Arzt über den Patienten nun gewonnen hat, kann er die Dringlichkeit und die Form der Intervention abschätzen. Liegt ein minimaler Risikokonsum vor, entscheidet sich der Arzt vielleicht für einen Ratschlag (Kapitel 3.2). Handelt es sich jedoch um mehr als einen Minimal-Risikokonsum oder bestehen Zweifel an den gemachten Angaben, ist eine Intervention indiziert (Kapitel 3.3). Je nach Ausmass der Problematik und den Bedürfnissen resp. den Ressourcen des Arztes ist eine Kooperation mit einem Spezialisten oder eine Weitervermittlung an eine spezialisierte Fachperson/Fachstelle indiziert. Es geht somit zunächst um die Wahl der Interventionsform.
3.1 Wahl der Interventionsform
3.1.1 Kooperation mit Fachperson/Überweisung
Der Arzt muss sich überlegen, ob er die nun anstehende Intervention in eigener Regie durchführen will/kann, oder ob er an eine Kooperation mit resp. an eine Überweisung an eine (ihm bekannte) Fachperson/ Institution denkt. Der Zeitpunkt für eine Kooperation/Überweisung ist an dieser Stelle günstig, da die Phase der Beurteilung abgeschlossen und der Wunsch nach einer Veränderung vorhanden ist. Die Überweisung zu einem späteren Zeitpunkt während der Kurzintervention ist weniger geeignet, aber auch möglich.
Entscheidend ist natürlich die Verfügbarkeit solcher Fachpersonen/ Institutionen und die Erfahrungen, die der Arzt mit ihnen gemacht hat. (Ein Bauer aus einem abgelegenen Tal wird sicher schwer zu motivieren sein, eine weit entfernte Fachstelle im Tal aufzusuchen). Mitentscheidend sind ferner die Indikationskriterien (s. unten) sowie die Situation des Arztes: Ist er zeitlich in der Lage, solche intensiveren Gespräche zu führen? Hat er ein Interesse und auch das Flair für diese Tätigkeit? Folgende Kriterien geben Hinweise darauf, ob eher eine Kurzintervention oder eher eine Weitervermittlung indiziert ist:
Indikatoren für eine Kurzintervention:
Motivation beim Patienten für eine Veränderung vorhanden
sozial stabile Situation vorhanden
keine schweren psychosozialen Probleme
keine schwere Abhängigkeit
für Behandlung bei Fachstelle nicht bereit
Indikatoren für Vermittlung an spezialisierte Beratungsstelle:
Es bestehen zahlreiche psychosoziale Probleme, die früher oder später sozialarbeiterische oder psychologische Interventionen erfordern.
Es liegt eine massive Suchtproblematik vor; die ambulante ärztliche Behandlung ist nicht mehr indiziert.
Es bestehen zusätzlich zum Alkoholproblem neurotische/psychiatrische Störungen, sodass eine eigentliche psychotherapeutische resp. psychiatrische Behandlung indiziert ist.
Der Arzt ist bereits an seiner Belastungsgrenze angelangt.
Dem Arzt sind Patienten mit Alkoholproblemen nicht sehr gelegen. Er fühlt sich zu wenig kompetent oder hat schlechte Erfahrungen gemacht.
Es bestehen bereits gute Erfahrungen bezüglich einer Zusammenarbeit mit einer Fachperson/Fachinstitution.
3.1.2 Kurzintervention in der eigenen Praxis
Entschliesst sich der Arzt für die Weiterbehandlung in der eigenen Praxis, wird er mit der Intervention in Form eines Ratschlages (nachfolgender Abschnitt) oder einer Kurzintervention (Kap. 3.3) weiterfahren.
3.2 Ratschlag
Mit dem Ratschlag als Kürzest-Intervention wird lediglich auf einen Problembereich hingewiesen, der aber nicht weiter thematisiert wird. Der Ratschlag ist kurz und der Patient wird nicht mit weiteren Fragen „belästigt". Beide, der Arzt und der Patient, können das Thema damit beenden. Dadurch bekommt der Ratschlag eine gewisse „Leichtigkeit".
Worin kann der Ratschlag bestehen?
Der Ratschlag kann sich auf das Konsumverhalten oder auf eine andere Verhaltensweise beziehen. Geht es um das Konsumverhalten, kann sich der Ratschlag auf eine Reduktion oder auf eine (zeitweise oder punktuelle) Abstinenz richten. Der Ratschlag kann sich aber auch auf Verhaltensweisen beziehen, von denen angenommen werden kann, dass sie einen konsumreduzierenden Effekt haben, z.B. Belastungen reduzieren, Sport treiben, Veränderungen im Freizeitverhalten einleiten u.a.
Inhaltsverzeichnis
6
Vorwort
10
1. Einleitung
12
1.1 Klinische Relevanz der Kurzintervention
12
1.2 Die „Philosophie“ der Kurzintervention
14
1.3 Die Ziele des Manuals
15
1.4 Aufbau des Manuals
16
1.5 Zum Anhang
19
2. Erkennen des Risikokonsums
20
2.1 Hinweise auf einen Risikokonsum
20
2.2 Befragung zum Risikokonsum
21
2.2.1 Vorbemerkungen
21
2.2.2 Drei Risikobereiche
23
2.3 Beurteilung und Mitteilung durch den Arzt
29
2.4 Bewertung durch den Patienten, Integration der beiden „ Expertenmeinungen“
31
2.4.1 Kein oder nur geringes Risiko
31
2.4.2 Risikokonsum
31
3. Kurzintervention
34
3.1 Wahl der Interventionsform
34
3.1.1 Kooperation mit Fachperson/Überweisung
34
3.1.2 Kurzintervention in der eigenen Praxis
35
3.2 Ratschlag
35
3.3 Kurzintervention
36
3.3.1 Motivationsklärung
36
3.3.2 Konkretisierung der Veränderung
40
3.4 Beratungsplan, Prozedere
45
3.5 Entschlussfassung
47
3.6 Aufrechterhaltung der Veränderung
47
3.7 Ausrutscher, Rückfälle
48
3.8 Schlussbemerkungen
49
ANHANG
52
Anhang 1: Motivation zur Verhaltensänderung
54
1.1 Phasenmodelle der Motivation
54
1.1.1 Das Modell von Prochaska und DiClemente
54
1.1.2 Die sechs Zwischenziele gemäss Feuerlein (1989)
62
1.1.3 Fünf Stufen der Motivation von Hänsel (1981)
62
1.2 Fallbeispiel
63
1.3 Dimensionen der Motivationsarbeit
64
1.4 Das „Health-Belief-Model”
64
1.4.1 Der wahrgenommene Schweregrad
65
1.4.2 Die wahrgenommene Anfälligkeit
67
1.4.3 Wahrgenommener Nutzen
67
1.4.4 Wahrgenommene Hindernisse
67