: Gary Bente, Nicole C. Krämer, Anita Petersen (Hrsg)
: Virtuelle Realitäten
: Hogrefe Verlag Göttingen
: 9783840914652
: 1
: CHF 23,90
:
: Geisteswissenschaften, Kunst, Musik
: German
: 312
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Der Band behandelt das Thema »Virtuelle Realität (VR)« aus psychologischer Perspektive. Im Zentrum steht die Frage, welchen Beitrag die Psychologie zu einem tieferen Verständnis menschlichen Verhaltens und Erlebens im Umgang mit VR-Technologien und auch zur künftigen Gestaltung und praktischen Nutzung virtueller Welten leisten kann. Zunächst werden Einsatzmöglichkeiten von VR als Lehr-Lernmedium (z.B. virtuelle Seminare, Avatar-Konferenzen) sowie die Unterstützung kreativer Prozesse durch VR aufgezeigt.

Weiterhin werden Fragen der Identität und Interaktion in virtuellen Gemeinschaften (anthropomorphe Interface-Agenten, multimodale Schnittstellen etc.) sowie die Nutzung von VR als Forschungsmethode zur Simulation menschlichen Verhaltens und Erlebens behandelt. Schließlich wird der Einsatz von VR im Rahmen psychotherapeutischer Interventionen dargestellt. 
Virtuelle Seminare: Potenziale und Erfolgsbedingungen (S. 133-134)
Margarete Boos& Kai J. Jonas

Fränk: Gerade schreibe ich noch eine lustige Antwort auf Euer Chatproblem... DasBo: Fein, dann lernen wir endlich was! Anonymisierte Nutzer im virtuellen Seminar

1. Lehren und Lernen im virtuellen Raum

Lernen beruht auf der Aufnahme von Informationen und deren Verarbeitung zu Wissen. Lehren bedeutet, diesen Prozess gezielt vorzubereiten, zu gestalten und zu fördern. Lehren und Lernen vollziehen sich meist in einer Kommunikationssituation und werden somit durch den Einfluss der neuen Informations- und Kommunikationstechniken verändert. Zum einen wird davon ausgegangen, dass die spezifischen Möglichkeiten der Neuen Medien – innovative Formen der Wissensvermittlung und größeres Angebotsspektrum infolge der zeitlichen und örtlichen Flexibilität der Lehre – die Qualität der Ausbildung steigern können (vgl. Reimann, 1998).

Zum anderen wird erwartet, dass mit Hilfe der neuen Vermittlungsformen mehr Lernende effizienter und den gesellschaftlichen Entwicklungen besser angepasst ausgebildet werden können (Scheuermann, Schwab& Augenstein, 1998). Diese Annahmen sind Teil einer technologieoptimistischen gesellschaftlichen Auffassung der Neuen Medien. Unter den Schlagworten „Wissensgesellschaft" und „lebenslanges Lernen" (Bruns& Gajewski, 2000) werden zuversichtliche Anforderungen an die Bildung formuliert (Reinmann-Rothmeier& Mandl, 2001). Auch populärwissenschaftliche Abhandlungen, z. B. ZeitPunkte (Sommer, 2000), zeigen mehr Möglichkeiten als Grenzen auf.

Es gibt zahlreiche Formen, in denen computergestützte Kommunikations- und Kooperationssysteme in der universitären und betrieblichen Aus- und Weiterbildung eingesetzt werden können. Diese reichen von Live-Übertragungen ausgewählter Veranstaltungen via Datenleitung an andere Orte („virtueller Hörsaal") über verteilte Lerngruppen und Seminare („virtuelle Seminare") bis hin zu Material, z. B. Html- Seiten und CD-ROMs, zum computergestützten individuellen Selbstlernen. Allen Formen liegt das Ziel zugrunde, gute Lehre anzubieten, d. h. eine optimale Vermittlung von Informationen und deren Aufbereitung zu Wissen zu unterstützen. Für nicht-mediengestützte Lehre sind bereits eine Vielzahl von Zielumsetzungskriterien definiert worden, es existieren Gestaltungshinweise, Fortbildungsangebote für Lehrende etc. Im noch jungen Bereich der mediengestützten oder auch „virtuellen" Lehre liegen diese Anforderungsprofile und Umsetzungshilfen noch nicht oder nur teilweise vor.

Gründe dafür liegen in der Neuheit dieser Lehrform und in der berechtigten Frage, ob für virtuelle Lehre ein anderes Anforderungsprofil gilt als für klassische Präsenzlehre. Im vorliegenden Beitrag wird gezeigt, dass für die Realisierung der gleichen Anforderungen an das Lehren und Lernen in verschiedenen Medien unterschiedliche Erfolgsbedingungen gelten. Es gibt verschiedene Versuche, ein Bedingungs- und Wirkungsmodell virtueller Lehre zu entwickeln. So gibt beispielsweise Schmidtmann (2001) organisatorischpraktische Hinweise zu Seminardauer, Teilnehmerzahl oder modularem Aufbau virtueller Seminare.

Die umfangreichere Systematik von Bruns und Gajewski (2000) enthält formale Gestaltungshinweise zu Inhalten, Lernhilfen und Aufbereitung der Inhalte (jeweils mit Unterpunkten). Einen psychologischen Schwerpunkt legt Unz (1998) mit den Aspekten Präsentation, Interaktion und Motivation. Vergleicht man diese drei Ansätze, wird deutlich, dass jeder ganz unterschiedliche Aspekte herausgreift, die aus jeweiliger fachspezifischer Sicht sinnvoll erscheinen. Im vorliegenden Beitrag wird ein Rahmenmodell entwickelt, das über praktisch gewonnenes Erfahrungswissen und fachspezifische Ansätze hinaus Erfolgsfaktoren für virtuelle Seminare benennt.

Grundlage für dieses Modell ist die unserer Meinung nach notwendige Integration von pädagogischem und psychologischem Fachwissen. Die bisherigen und noch dazu wenig zahlreichen Evaluationsstudien virtueller Seminare verbleiben in ihrer disziplinären Herangehensweise und beachten zu wenig die Multiperspektivität, die das Medium verstärkt fordert. Woraus muss ein Rahmenmodell bestehen? Evident ist der Beitrag der pädagogischen Psychologie. Hier kann auf eine breite Basis theoretischer Ansätze und empirischer Befunde zu Lehr- und Lernprozessen zurückgegriffen werden.

Die kognitionspsychologische Perspektive liefert Konzepte und Ergebnisse, wie in einer Lerngruppe verteilte Kognitionen zu geteiltem Wissen werden. Interaktions- und Kommunikationsprozesse sind hierfür notwendig. Sozialpsychologische Erkenntnisse über die Koordination und Motivation in Gruppen sowie zu den Effekten der Identifikation der Gruppenmitglieder mit ihrer (Lern-)gruppe sollten daher integriert werden. Die didaktische Auswahl und die mediale Gestaltung der Lehrinhalte sind weitere Komponenten, aus denen das Lehrangebot geformt wird. Zwischen den Lehrinhalten bzw. dem Seminarangebot und den psychologischen Perspektiven sollte eine Feedbackschleife gezogen und evaluative Befunde sollten zurückgemeldet werden, damit der Rahmen kontinuierlich den Inhalten angepasst werden kann.
Inhaltsverzeichnis5
Virtuelle Realität als Gegenstand und Methode in der Psychologie12
1. Psychologie und Virtuelle Realität12
2. Begrifflichkeiten: Cyberspace und andere künstliche Welten13
3. Technologie-basierte vs. rezeptionsorientierte Konzeptionen von VR19
4. Virtuelle Realitäten in der psychologischen Forschung und Praxis34
Literatur37
Realität, Fiktion, Virtualität: Über die Unterscheidung zwischen realen und virtuellen Welten144
1. Einleitung44
2. Modelle der Unterscheidung zwischen Realität, Fiktion und Medialität45
3. Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen in Virtuellen Realitäten54
4. Zusammenfassung62
Literatur64
Die Simulation von Gefühlen68
1. Gefühle und Mimik69
2. Gefühle74
3. Emotionen und Handeln83
Literatur90
Virtuelle Gesten: VR-Einsatz in der nonverbalen Kommunikationsforschung92
1. Wirkungsdimensionen nonverbaler Kommunikation92
2. Zum Einsatz von VR in der nonverbalen Kommunikationsforschung94
3. Künftige Forschungsaufgaben und Anwendungsperspektiven111
Literatur113
Lernen und Wissenserwerb in virtuellen Realitäten120
1. Einführung120
2. Veranschaulichung von Lerninhalten121
3. Interaktivität in virtuellen Lernwelten127
4. Personale Präsenz in virtuellen Lernwelten133
5. Organisation von Lernumgebungen135
6. Fazit137
Literatur140
Virtuelle Seminare: Potenziale und Erfolgsbedingungen144
1. Lehren und Lernen im virtuellen Raum144
2. Pädagogisch-psychologische Perspektive: Warum ist soziale Interaktion und Kommunikation für das Lernen wichtig?147
3. Kognitionspsychologische Perspektive: Wie wird aus verteilten Informationen geteiltes Wissen?152
4. Sozialpsychologische Perspektive: Wie können soziale Prozesse in/zwischen virtuellen Arbeitsgruppen unterstützt werden?154
5. Inhalt