: Frank Stein (Hrsg.)
: Grundlagen der Polizeipsychologie
: Hogrefe Verlag Göttingen
: 9783840917264
: 2
: CHF 19,40
:
: Sonstiges
: German
: 297
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
< >Geiselnahmen und Entführungen, größere Menschenansammlungen bei Demonstrationen oder in Fußballstadien, Vernehmunssituationen, aber auch der unmittelbare Kontakt mit dem Bürger sind Themen, die im Brennpunkt polizeipsychologischer Arbeit stehen. Dieser Band liefert eine zusammenfassende Darstellung dieser Themen. Psychologisches Wissen wird durch Fallbeispiele so aufbereitet, daß es auch für Nichtpsychologen verständlich ist. Ferner werden zu den einzelnen Bereichen Handlungshinweise dargestellt und begründet, die für die polizeipsychologische Praxis von Bedeutung sind. 

Das Problem der Eskalation von Protestverläufen (S. 79)

von Hans Peter Schmalzl

1 Die Begriffe„Protest" und„Eskalation" und die unausweichliche Rolle der Polizei im Protestgeschehen

Schwierige Begriffe, die schon im Titel eines Aufsatzes auftauchen, sollte man rasch definieren oder erläutern.„Demonstration" zählt eher nicht dazu. Darunter werden im polizeilichen Kontext Versammlungen und Aufzüge verstanden, für die es in der entsprechenden Polizeidienstvorschrift (PDV 100) ausgearbeitete Kriterien, taktische Ziele, Einsatzgrundsätze, Maßnahmenkataloge usw. gibt.

Vielschichtiger und damit weniger eindeutig verhält es sich mit dem Begriff„Protest". Zunächst ist Protest nichts anderes als ein Aufbegehren gegen empfundene Missverhältnisse, Missstände oder Ungerechtigkeiten. Dieses Aufbegehren kann sehr persönlich sein und sich gegen einzelne Sachverhalte oder Personen richten, in einigen Fällen kann es in Streit oder Gewalttätigkeit eskalieren und so die Polizei auf den Plan rufen. Regelmäßig wird Protest allerdings polizeilich relevant, wenn er kollektiv vorgetragen in derÖffentlichkeit stattfindet.

Dabei ist das Spektrum möglicher Protestformen unendlich, während Demonstrationen als eng definierte Teilmenge der denkbaren Protestaktionen imöffentlichen Raum zu verstehen sind. Demonstrationen sind standardisierter und ritualisierter Kollektivprotest. Demonstrationen, aber mehr noch die weniger reglementierten Formen des Protests stellen zwangsläufig eine Herausforderung für dieöffentliche Sicherheit und Ordnung dar.

Wieso zwangsläufig? Es ist der politische und konflikthafte Charakter, der den Unterschied macht zu andersgeartetenöffentlichen Veranstaltungen, seien es nun religiöse Prozessionen, kulturelle Events wie Open-Air-Konzerte oder Festivitäten vom lokalen Volksfest bis zu nationalen Siegesfeiern. In allen diesen Fällen kommen Menschenähnlicher Gesinnung und Stimmungslage zusammen, um gemeinsam etwas zu begehen oder gemeinsam an etwas teilzuhaben. Selbst eine schier unüberschaubare Teilnehmermenge lässt solche Ereignisse meist ohne viel polizeiliches Zutun gut ausgehen.

Erst ein Konflikt, deröffentlich in Szene gesetzt wird, birgt in sich das Potential zur Sicherheitsstörung. Das ist schon bei den unpolitischen, aber dennoch konfliktgeneigten Sportveranstaltungen spürbar, wenn Aggressionen zwischen rivalisierenden Fangruppen aufbrechen, und wächst sich dort zu einem Problem aus, wo Konflikte brisante gesellschaftspolitische Themen anschlagen; denn dann beziehen sie jeden mit ein, auch die Polizei, und fordern zur Auseinandersetzung auf. Die Polizei gerät bei diesen Auseinandersetzungen in die Rolle des unmittelbaren Gegenübers, obwohl sie meist nur als Kontrollinstanz auftritt wie z. B. bei einer Konfrontation zwischen rechts und links oder allenfalls stellvertretend für Staat und Politik den Adressaten abgeben muss wie z. B. bei Protesten gegen dieökonomische Globalisierung und deren Folgen.

Dennoch entzündet sich der politische Konfliktstoff immer wieder am polizeilichen Handeln; denn die demonstrierenden Bürger inszenieren ihren Protest nicht einfach vor der Polizei, während andere gemeint sind, sondern sie inszenieren ihn mit ihr in Interaktionen unterschiedlicher Art, von der organisationstechnischen Kooperation bis zur gewalttätigen Konfrontation.

Dabei kann die Bürger-Polizei-Begegnung imöffentlichen Protest Eigendynamiken jenseits des eigentlichen Ziels einer Demonstration und jenseits des eigentlichen polizeilichen Schutzauftrags entwickeln. Nicht die einzig mögliche aber die gefährlichste Interaktionsdynamik wird mit dem Begriff der Eskalation umschrieben, also der Konflikt-Intensivierung durch„wechselseitig sich verschärfende Aktionen und Reaktionen" (Brockhaus Enzyklopädie, 1988, S. 581).

Vorwort5
Inhaltsverzeichnis7
I. Polizeipsychologie: Aufgaben, Probleme, Perspektiven9
Polizeipsychologische Aufgabenfelder im Wandel der Zeit in der Bundesrepublik Deutschland11
1 Die Entwicklung der Polizeipsychologie in Deutschland11
2 Die heutigen Aufgaben der Polizeipsychologie in Deutschland13
3 Personalauswahl und andere Maßnahmen der Personalentwicklung14
4 Einsatzpsychologische Tätigkeiten17
5 Kriminalpsychologische Tätigkeiten18
6 Anforderungen an den Polizeipsychologen - Grenzen der Polizeipsychologie19
7 Ein Resümee - ein Ausblick20
Literatur21
Polizeipsychologische Aufgabenfelder im Wandel der Zeit in Österreich22
1 Die Entstehung des Psychologischen Dienstes bei der österreichischen Sicherheitsverwaltung22
2 Aufgabenschwerpunkte des Psychologischen Dienstes22
3 Der Kriminalpsychologische Dienst26
4 Ausblick27
Polizeipsychologische Aufgabenfelder im Wandel der Zeit in der Schweiz: Rückblick und Ausblick28
1 Gestern28
2 Heute und Morgen28
3 Allgemeine Tätigkeitsgebiete30
4 Einsätze in Extremsituationen32
5 Spezialgebiete33
6 Zusammenfassung34
Literatur34
II. Der unmittellbare Kontakt mit dem Bürger35
Verkehrskontrollen: Konfliktbedingungen und Konflikt vermindernde Verhaltensweisen37
1 Stressbewältigung und konstruktive Kommunikation als wichtige Voraussetzungen polizeilicher Arbeit37
2 Das Phänomen Stress37
3 Grundbegriffe der Kommunikation und Kommunikationstechniken40
4 Ein Fallbeispiel42
5 Handlungshinweise für die Praxis47
Literatur49
Der Umgang mit psychisch auffälligen Personen50
1 Zum Phänomen psychisch auffälliger Personen50
2 Interventionen und Einwirkungsmöglichkeiten53
3 Die gesetzliche Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik57
Literatur58
III. Größere Menschenansammlungen59
Das Management von Krisen und größeren Menschenansammlungen61
1 Allgemeine Vorbemerkungen61
2 Menschliches Erleben und Verhalten62
3 Wie mit Menschenmassen umgehen?65
4 Umgang mit Opfern, überlebenden und Angehörigen nach Katastrophen bzw. gro en Schadensereignissen66
5 Fazit70
Literatur70
Einsatz in Fußballstadien: Fan-Verhalten, Eskalationsbedingungen und psychologische Aspekte der Aggressionsvermeidung71
1 Problemstellung71
2 Das Publikum bei Fußballspielen - Versuche der Kategorisierung71
3 Warum werden Fußballfans gewalttätig? - Mögliche Ursachen75
4 Zur Analyse der Aggressionen unter Fußballfans77
5 Maßnahmen zur Aggressionsvermeidung vor, während und nach der Veranstaltung78
Literatur82
Das Problem der Eskalation von Protestverläufen83
1 Die Begriffe83
1 Die Begriffe83
1 Die Begriffe83
1 Die Begriffe83
8383
2 Dilemmas der Polizei in der Interaktion mit Protestierenden85
3 Mythen um das Ziel der Deeskalation88
4 Frontstellungen, Machtspiele und politische Kalküle einer Eskalationsstruktur90
5 Katalysatoren und Mechanismen der Eskalationsdynamik92
6 Das Problem der Eskalation und die bedingte Chance seiner Bewältigung93
Literatur94
IV. Fälle schwerster Gewaltkriminalität95
Tötungsdelikte: Neue Ansätze für Theorie und Praxis97
Zur Notwendigkeit einer neuen Betrachtungsweise der Kriminalität97
1 Die Rolle der Fantasie bei Tötungsdelikten98
2 Persönlichkeitsstrukturen sadistischer Mörder103
3 Der Einfluss des Zufalls auf Schicksal und Kriminalitätsentwicklung107
Literatur109
Erpesserischer Menschenraub111
1 Erkenntnisse über das psychische Erleben einer Entführung112
2 Zusammenarbeit zwischen Angehörigen und Polizei117
3 Fragen zur Gefährdung120
Literatur123
Geiselnahme124
1 Begriffsbestimmung und sprachlicher Ursprung124
2 Geisellagen mit und ohne Besonderer Aufbau- Organisation ( BAO)125
3 Versuch einer Tätertypologie125
4 Psychologische Phasen einer Geiselnahme129
5 Verhandlungen mit den Tätern132
6 Verhältnis zwischen Geiselnehmer und Geisel - das Stockholm- Syndrom134
7 Schlussbemerkung136
Literatur137
Amoktaten138
1 Kennzeichen für Amoktaten138
2 Untersuchungen über allgemeine Merkmale von Amoktaten141
3 Auslöser- und Ursachensuche142
4 Strategien der Vorbeugung148
5 Fazit149
Literatur150
V. Internetkriminalität153
Cybercrime und Persönlichkeit: Psychologische Hintergründe zur Tätertypologie bei Internet- Kriminalität155