|7|Einleitung
Der Begriff der Globalisierung charakterisiert jene rasanten Veränderungen, denen sich die Welt seit zwei Jahrzehnten ausgesetzt sieht. Kein relevantes Thema aus Wirtschaft, Politik und Kultur scheint heute mehr ohne seine weltweiten Bezüge diskussionsfähig. Eine dichte Folge von Weltkonferenzen hat seit den 90er Jahren bewusst gemacht, dass Umweltzerstörung, Armut und Bevölkerungswachstum, die Lage von Frauen und Kindern in vielen Ländern des Südens, die Menschenrechtssituation und der Zustand der schnell wachsenden Megastädte, aber auch die Bedrohung liebgewordener Lebensverhältnisse in den westlichen Ländern verschiedene Dimensionen einer umfassenden Problematik darstellen, die man als Aufgabenfeld einer »Weltinnenpolitik« begreift. Umgekehrt müssen traditionelle Politiker und Parteien erkennen, dass sie ihre innenpolitischen Ziele nicht mehr ohne Rücksicht auf internationale Konstellationen formulieren können. So präsentierte die Sozialdemokratie ihren »Dritten Weg« jenseits deregulierter Märkte und staatlicher Bürokratien als Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung, während konservative Parteien die Chance zur Befreiung des Markts aus dem Würgegriff des Steuerstaats gekommen sehen. Jenseits der etablierten Parteien ist eine neue Protestkultur entstanden, die sich als Gegenströmung zum elitären Globalismus von Weltwirtschaftsgipfeln|8|versteht. Grenzübergreifend vernetzte globalisierungskritische Bewegungen, die sich moderner Kommunikationstechniken und Medienstrategien bedienen, haben in kürzester Zeit den öffentlichen Raum repolitisiert.
Jenseits politischer Stellungnahmen lässt sichGlobalisierung als die raum-zeitliche Ausdehnung sozialer Praktiken über staatliche Grenzen, die Entstehung transnationaler Institutionen und Diffusion kultureller Muster beschreiben – ein Prozess, der sich durch seinen Tiefgang, seine Geschwindigkeit und seine Reichweite von konventionellen Formen der Modernisierung unterscheidet. Die Dynamik der Globalisierung wird gewöhnlich mehreren sich wechselseitig verstärkenden Faktoren zugeschrieben, insbesondere einer durch Satellitennetzwerke und das Internet bereitgestellten kommunikativen Infrastruktur, sinkenden Transportkosten, der Intensivierung grenzüberschreitender Kontakte sowie exponentiell zunehmenden Finanztransaktionen. Im Vordergrund der jüngeren Literatur zum Thema steht die in den späten 70er Jahren einsetzende Deregulierung der Weltwirtschaft. Expandierende Handelsbeziehungen, die Liberalisierung der Devisen- und Kapitalmärkte, steigende Auslandsinvestitionen und grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschlüsse gelten als Indikatoren einer Globalisierungsdynamik, die ein Denken in nationalökonomischen und nationalstaatlichen Kategorien anachronistisch erscheinen lässt.
Zu einer Dynamik von globaler Reichweite konnten sich diese Tendenzen freilich erst in einer radikal veränderten politischen Weltlage zusammenschließen. Die Desintegration des Kommunismus und das »Ende der Dritten Welt« haben die ideologischen Demarkationslinien der Ära des Kalten Kriegs aufgehoben; nationale Entwicklungsmodelle und Sonderwege jenseits des Kapitalismus verloren ihre Überzeugungskraft. Das überragende Weltproblem des letzten Jahrhunderts, die wechselseitige atomare Vernichtungsdrohung, schien einstweilen entschärft|9|. Fast alle postkommunistischen Gesellschaften stimmten in den frühen 90er Jahren in einen »One World Consensus« (Waelbroek 1998) über Prioritäten und Institutionen einer marktfreundlichen Politik ein, der im Jahrzehnt zuvor von Großbritannien und den USA ausgehend zur intellektuellen Leitkultur der Internationalen Finanzinstitutionen und des politischen Establishments avanciert war. Vor diesem Hintergrund überrascht nicht, dass die vorherrschende Sicht die Vorteile der Globalisierung in den Vordergrund rückt: die wohlfahrtssteigernden Wirkungen liberalisierter Märkte, den freien Fluss von Ideen und das Schwinden unversöhnlicher Konflikte in einer immer enger zusammenrückenden Welt.
Die Bereitschaft zur Globalisierung erscheint jetzt als das Kriterium, nach dem die Welt erneut in drei Lager zerfällt: in die reichen Länder, in eine Gruppe von 24 neuen Globalisierern, in der drei Milliarden Menschen leben, und in den nicht globalisierten Rest der Welt mit zwei Milliarden Bewohnern. Während man den neuen Globalisierern vor allem in Asien ein beschleunigtes Wachstum bescheinigt, das seit den 90er Jahren deutlich über dem der traditionellen Industrieländer liegt, bleiben die hauptsächlich afrikanischen Nichtglobalisierer ebenso deutlich hinter beiden zurück (Dollar/Kray 2001).
Die gegenwärtige Globalisierungswelle steht demnach unter dem Vorzeichen eines Politikmusters, das Märkte und wirtschaftliches Wachstum zu universellen Lösungsformeln für gesellschaftliche Entwicklung, für die Überwindu