: Hans-Martin Lohmann
: Marxismus
: Campus Verlag
: 9783593400129
: Campus Einführungen
: 1
: CHF 12.60
:
: Allgemeines, Lexika
: German
: 155
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB/PDF
Wer das 20. Jahrhundert verstehen will, muss sich mit dem Marxismus und seinen verschiedenen theoretischen und politischen Ausformungen vertraut machen. Doch über dieses historische Interesse hinaus ist die Kenntnis der Marx'schen Theorie und ihrer unterschiedlichen Weiterentwicklungen eine wichtige Voraussetzung für eine kritische Analyse des Kapitalismus. Die heute notwendige Kritik des Kapitalismus bliebe stumpf ohne die Kenntnis des Marxismus, auch wenn dessen gesellschaftliche Utopie historisch Schiffbruch erlitten hat.

Hans-Martin Lohmann (1944-2014) studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft. Von 1974 bis 1979 war er Wissenschaftslektor im Suhrkamp Verlag. Von 1979 bis 1986 arbeitete er als Redakteur der psychoanalytischen Fachzeitschrift 'Psyche', deren Chefredakteur er zwischen 1992 und 1997 war. Er schrieb für Tageszeitungen, Zeitschriften und Rundfunk und befasste sich vor allem mit den Themen Marxismus und Geschichte der Arbeiterbewegung sowie mit der Biographie und dem Werk Sigmund Freuds. Ab 2002 lebte er als freier Publizist in Frankfurt am Main.

|9|Einleitung


Von Max Weber stammt die Bemerkung, vom Denken des 20. Jahrhunderts verstehe nichts, wer Nietzsche und Marx ignoriere. Eric Voegelin zählt Marx, neben Nietzsche, Weber und Freud, zu den bahnbrechenden Geistern der neueren Moderne. Und so unterschiedliche Köpfe wie Eric Hobsbawm und Ernst Nolte sind sich in dem Urteil einig, dass dem 20. Jahrhundert das Prädikat »Zeitalter des Marxismus« gebühre. Hobsbawm lässt das abgelaufene Jahrhundert, das er das »kurze« nennt, mit dem Ersten Weltkrieg und der Oktoberrevolution beginnen und mit dem Kollaps der Sowjetunion enden.

Auch wenn es seit jenem Kollaps üblich geworden ist, den Marxismus als endgültig erledigt zu betrachten und damit zur kapitalistischen Tagesordnung überzugehen, machte man sich eines schweren intellektuellen Versäumnisses schuldig, wenn man die mit dem Marxismus verbundenen Fragen, die immerhin dafür gesorgt haben, dass die bis dahin weltweit dominante Wirtschaftsordnung des Kapitalismus zu eingreifenden Korrekturen der ihr eigentümlichen Logik des Wirtschaftens gezwungen wurde, einfach ad acta legen würde. Fragen werden nicht dadurch aus der Welt geschafft, dass unzureichende oder falsche Antworten auf sie gegeben wurden. Als Frage bleibt der Marxismus auch im 21. Jahrhundert präsent – freilich wird sie|10|auf einem neuen Niveau und in einer neuen, unverbrauchten Sprache formuliert werden müssen. Aber das steht auf einem anderen Blatt und ist nicht Gegenstand dieser Einführung.

Marxismus ist ein pauschaler und Allerweltsbegriff, und jeder versteht darunter etwas anderes. Wenn im Folgenden vondem Marxismus die Rede ist, so bediene ich mich damit einer ebenso vorläufigen wie konventionellen Sprechweise, die zwar eine Vielzahl von divergenten Phänomenen umfasst, aber doch auf eine einheitliche Epochensignatur zielt. Allen Marxismen zum Trotz, auch wenn sie sich untereinander zum Teil heftig befehdet haben, gibt es doch so etwas wieden Marxismus als epochales Ereignis. Vor allem im letzten Kapitel dieses Buches soll versucht werden, das epochal Einheitliche auf den Begriff zu bringen.

Die Heraufkunft des Marxismus sowohl als theorie- und ideengeschichtliche Formation wie als real- und gesellschaftsgeschichtlich wirksames Faktum lässt sich noch am ehesten begreifen, wenn man sich selber auf den Boden basaler marxistischer Annahmen, das heißt auf den Boden dessen stellt, was seit Marxhistorischer Materialismus heißt. Bekanntlich geht der historische Materialismus davon aus, und das gilt auch für seine eigene Entstehung, dass Ideen, Gedanken und Theorien nicht allein im Kontext anderer kursierender Ideen, Gedanken und Theorien das Licht der Welt erblicken – sozusagen als Eingebungen des Geistes, so wie man lange Zeit die erste Philosophie der Griechen als »griechisches Wunder« bezeichnet hat –, sondern auch, und primär, im Kontakt und Austausch mit den Tatsachen des sozialen Lebens. Nach Marx drängt die Idee zur Wirklichkeit, nicht, wie in der Hegelschen Philosophie, die Wirklichkeit zur Idee.

Die Wirklichkeit, welche Marx und der aufkeimende Marxismus vorfanden, bestand gewiss auch in den Ideen der Französischen Revolution, im lebendigen Erbe des Deutschen Idealismus (Kant, Fichte, Schelling, Hegel), in den materialistisch|11|und religionskritisch eingefärbten Debatten der Linkshegelianer (Feuerbach, Ruge, Hess, Bauer), in den anarchoiden Ausbrüchen eines Max Stirner und, nicht zu vergessen, in den subversiven Hervorbringungen der zeitgenössischen Literatur, in denen sich, wie bei Büchner, Heine, Balzac, Baudelaire, George Sand und Dickens, ein teils scharfer gesellschaftskritischer Ton bemerkbar machte. Das alles zählte für den entstehenden Marxismus nicht wenig.

Aber etwas anderes zählte weit mehr, und dies erkannt und zum Ausgangspunkt seines Denkens gemacht zu haben, gehört zu den unbestreitbar großen Leistungen von Marx. Im historischen Rückblick wird deutlich, dass nur ein paar Jahrzehnte vor Marxens Geburt (1818) ein ganz neues Zeitalter begonnen hatte, wie es die Welt bis dahin nicht kannte. Nehmen wir als rundes Datum das Jahr 1750, mit dem der Sozialhistoriker Eric Hobsbawm seine moderneBritische Wirtschaftsgeschichte anheben lässt,1 so muss man feststellen: Damals begann dieEpoche der totalen Ö

Inhalt6
Siglen8
Einleitung10
Wichtige Vertreter des Marxismus24
1 Theoretische Grundlegung des Marxismus34
Karl Marx und die Kritik der politischen Ökonomie34
Friedrich Engels und die Dialektik der Natur52
2 Das Goldene Zeitalter des Marxismus57
Die deutsche Sozialdemokratie – Kautsky, Bernstein, Luxemburg60
Der europäische Sozialismus71
3 Der Sowjetmarxismus79
Marxismus in Russland – Plechanow und Lenin80
Der Marxismus als Staatsmacht86
Niedergang und Ende des Sowjetmarxismus95
Der Sowjetmarxismus außerhalb der Sowjetunion100
4 Marxismus in der Dritten Welt105
5 Demokratischer Sozialismus115
6 Intellektueller Marxismus124
Am Beginn des 21. Jahrhunderts: Glanz und Elend des Marxismus137
Literatur144
Glossar153
Zeittafel154