: Volker Pudel, Joachim Westenhöfer
: Ernährungspsychologie Eine Einführung
: Hogrefe Verlag Göttingen
: 9783840909122
: 2
: CHF 29.00
:
: Angewandte Psychologie
: German
: 385
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
< >Essen und Trinken beherrschen unser Leben und unser Denken. Die Ernährungswissenschaft erforscht die nutritiven Lebensgrundlagen des Menschen und weiß inzwischen sehr genau, wie sich der Mensch ernähren müßte. Doch er ißt anders, als er sich ernähren sollte. Sind die Ratschläge der Ernährungswissenschaft gar nicht so gut, wie oft angenommen? Muß sich der Mensch daran halten? Soll er? Will er? Kann er? Seit der Erstausgabe dieses Buches 1991 sind die Turbulenzen um Ernährungsfragen noch gewaltiger geworden. Die zweite Auflage erweitert deutlich den Themenbereich, aktualisiert die Erkenntnisse zur Regulation des Eßverhaltens und gibt Orientierungshilfen für die praktische Arbeit. Ein umfangreiches Sachregister erleichtert das Auffinden bestimmter Aspekte.   &nb p; 

6 Gezügeltes Eßverhalten - der aktuelle Ansatz der Verhaltensforschung.

6.1 Begriffsklärung: Restrained Eating.
Kein anderer Begriff hat in den letzten Jahren die Forschung zum Eßverhalten und die wissenschaftliche Bearbeitung von Eßstörungen so geprägt wie das Konstrukt (Lexikon) gezügeltes Essen (engl. restrained eating). Mit diesem Begriff wird die Tendenz bezeichnet, die Nahrungsaufnahme einzuschränken, um an Gewicht abzunehmen oder zumindest nicht zuzunehmen. Neben dem Bemühen, weniger zu essen, fallen unter diese Bezeichnung eine Vielzahl von Verhaltensweisen und Kognitionen (Einstellungen, Werturteile usw.), die eine genaue definitorische Abgrenzung schwierig machen. Ausdruck von gezügeltem Essen kann das wiederholte Durchführen besonderer Schlankheitskuren (Schlankheitsdiäten) sein oder ein in den normalen Lebensrhythmus integriertes alltägliches Diäthalten.

Konstrukt.

Unter einem Konstrukt wird in der Psychologie (und den Sozialwissenschaften) eine theoretische Annahme verstanden, die nicht den Anspruch erhebt, die Wirklichkeit direkt oder als Modell abzubilden. Es ist sozusagen eine begriffliche Hilfsgröße, die höchstens empirisch gedeutet werden kann. So ist auch Intelligenz ein Konstrukt, dem das entspricht, was zu intelligenten Verhaltensweisen führt. Konstrukte selbst sind nicht beobachtbar oder gar meßbar. Sie werden repräsentiert durch entsprechendes Verhalten, das auf dieses Konstrukt zurückgeführt wird.

Kalorienüberschatten den Tag.
Eva N. achtet sehr auf ihr Gewicht. jeden Morgen geht ihr erster Weg zur Waage. Das frühstück besteht meist aus einem Knäckebrot mit Magerquark, zu dem sie schwarzen Kaffee trinkt (Zucker in den Kaffee hat sie vor zwei Jahren aufgegeben - wegen der Kalorien). Im Lauf des Tages achtet sie darauf, daß nicht mehr als 1.800 Kalorien zusammenkommen. Wieviel Kalorien die meisten Lebensmittel haben, hat sie im Kopf. Daß sie mittags in der Kantine möglichst Salate bevorzugt und den Nachtisch wegläßt, versteht sich von selbst. Eines ihrer Lieblingsgetränke ist inzwischen Cola light.

Gezügeltes Essen und Diäthalten bezeichnen also keine prinzipiell verschiedenen Dinge: Gezügeltes Essen wird lediglich etwas allgemeiner, umfassender, auch im Sinn einer längerfristigen oderüberdauernden Verhaltenstendenz verstanden. Bei diesen Begriffen spielen auch die Schwierigkeit und Umständlichkeit der deutschen Sprache eine Rolle, mit der die entsprechenden Worte der größtenteils angloamerikanischen Fachliteratur wiedergegeben werden können. In der englischen Fachliteratur werden die Begriffe dieting, restrained eating oder dietary restraint häufig austauschbar und synonym verwendet. Darüber hinaus ist auch eine Redewendung wie ,,they restrain their eating" Bestandteil der Umgangssprache. Dies trifft auf den deutschen Begriffgezügeltes Essen nicht zu. Solche Benennungsschwierigkeiten setzen sich fort, wenn der eingebürgerte anglo-amerikanische Begriff 'dieter' umständlich als ,,jemand, der Diät hält"übersetzt werden muß. Der ,,Diätler" ist zur Zeit noch ungebräuchlich. Wichtig ist, daß mit dem Begriff gezügeltes Essen lediglich die Absicht bezeichnet wird, die Nahrungsaufnahme zum Zweck der Gewichtskontrolle einzuschränken. Eine solche Definition bedeutet nicht, daß es dem gezügelten Esser auch gelingt, seine Nahrungsaufnahme tatsächlich einzuschränken. Vielmehr ist es gerade das Problem von vielen gezügelten Essern, daß es ihnen nicht gelingt, ihr Eßverhalten dauerhaft zu kontrollieren. Ebenso bedeutet gezügeltes Essen nicht, daß tatsächlich eine Gewichtsreduktion erreicht wird.

Wenn weiter berücksichtigt wird, daß das Eßverhalten normalerweise durch eine ganze Reihe von physiologischen und psychologischen Hunger-, Appetenz- und Sättigungssignalen gesteuert wird (s. Kap. 4), dann bietet sich der folgende zusammenfassende Definitionsvorschlag an:

,,Als gezügeltes Eßverhalten (restrained eating) wird ein zeitlich relativüberdauerndes Muster der Nahrungsaufnahme bezeichnet, gekennzeichnet durch eine kognitive Kontrolle undÜbersteuerung physiologischer Hunger- und psychologischer Appetenzsignale, das auf eine geringere Kalorienzufuhr zum Zweck der Gewichtsreduktion und/oder Gewichtskonstanz zielt." (WESTENHÖFER& PUDEL 1989, S. 15Of)
Der Begriff restrained eating wurde von der Arbeitsgruppe um PETER HERMAN in die Literatur eingeführt (HERMAN& MACK 1975; HERMAN& POLIVY 1975). Dabei wurde der Begriff allerdings nicht theoretisch präzise definiert, sondern lediglich die praktischoperationale Festlegung getroffen, daß mit einem eigens hierfür entwickelten Fragebogen die ,,chronic dieters" identifiziert werden.

Inhalt5
1 Ernährungspsychologie - Perspektive einer Verhaltenswissenschaft vom Essen und Trinken15
1.1 Situationsbeschreibung16
1.1.1 Ernährung als Kommunikationsproblem18
1.1.2 Das Rationalitätsprinzip20
1.1.3 Marketing beeinflußt Ernährungsverhalten21
1.1.4 Start der Ernährungspsychologie22
1.2 Forschungsfelder der Ernährungspsychologie23
1.2.1 Epidemiologische Forschung23
1.2.2 Experimentelle Forschung23
1.2.3 Klinische Forschung25
1.3 Angewandte Ernährungspsychologie25
1.3.1 Primäre Prävention26
1.3.2 Sekundäre, tertiäre Prävention27
1.3.3 Therapie von Eßstörungen27
1.4 Ernährungspsychologie als Dienstleistung27
1.4.1 Beratungsmethodik27
1.4.2 Soziales Marketing28
1.4.3 Nutritional Marketing28
1.5 In eigener Sache29
1.6 Empfohlene Literatur32
2 Ernährungs- und Eßverhalten - psychologische Betrachtungen zur Einführung33
2.1 Essen und Ernährung - synonyme Begriffe?33
2.2 Kurze historische Rückschau34
2.2.1 Eingeschränkte Spielräume35
2.2.2 Hungerdefinition anno 173535
2.2.3 Drei authentische Quellen37
Quelle 1: ,,Frugale Zichorienlake”37
Quelle 2: ,,Fleisch konnte man sich dazudenken”37
Quelle 3: ,,Herrlichkeiten dieser Welt”38
Nachwirkung bis heute38
2.2.4 Multifaktorielle Motivation39
2.3 Zur Entwicklung des Eßverhaltens39
2.3.1 Primär- und Sekundärbedürfnisse40
2.3.2 Geschmackspräferenzen42
Salzpräferenz entwickelt sich später42
Liking by tasting44
Grenzen rationaler Ernährungserziehung45
Energiedichte ist kein Kinderbegriff46
2.3.3 Kontinuitätstraining über Generationen47
2.4 Das Drei-Komponenten-Modell48
2.4.1 Außen- und Innensteuerung48
2.4.2 Kognitive Steuerung48
2.5 Bewältigungsstrategien50
2.5.1 Analyse der Defizite50
2.5.2 Analyse der Veränderung51
2.6 Entscheidungskriterien im Mosaik der Motive53
2.6.1 Subjektiv optimierte Entscheidung55
2.6.2 Theoretisches Modell der Entscheidung56
2.6.3 Ausblick58
2.7 Weiterführende Literatur59
3 Ernährungsverhalten und -einstellung - Bestandsaufnahme für die Bundesrepublik Deutschland61
3.1 Trends in der Lebensmittelwahl61
3.2 Subjektiver Stellenwert des Essens68
3.3 Einstellungen zum Thema Ernährung73
Thema Schadstoffe74
Vorgegebene Formulierung75
Fazit76
3.4 Geschmack und Gesundheit77
Konkret: Was ist gesund?78
Bedarfsgerechte Ernährung zielt auf Kombination und Dosierung80
3.5 Kognitives Modell der Ernährungsentscheidung80
3.6 Weiterführende Literatur85
4 Hunger, Appetit und Sättigung - zum Stand der Regulationstheorien87
4.1 Definition Hunger, Appetit und Sättigung87
4.2 Sättigungs- Kaskade88
4.3 Appetit und Sättigung als erlernte Reaktion91
4.4 Zentrale Mechanismen zur Steuerung der Nahrungsaufnahme92
4.5 Die Setpoint- Theorie der Regulation des Körpergewichts93
4.5.1 Setpoint94
4.5.2 Energiebedarf97
4.5.3 Anpassung des Energieverbrauchs98
Essen für die Wissenschaft100
Genetische Disposition der Futterverwertung101
4.5.4 Anpassung der Nahrungsaufnahme102
4.5.5 Die Rolle der Fettzellen in der Regulation des Körpergewichts103
4.5.6 Die Setpoint-Theorie als Erklärung von Mißerfolgen bei der Gewichtsabnahme104
4.5.7 Wird die Setpoi