Vorwort
Aus der Ferne wird manches offensichtlicher. Deshalb fühle ich mich in China auch gut aufgehoben, wenn ich etwas über Deutschland lernen will. Die Art, wie die Deutschen auf China reagieren, sagt viel aus über die aufsteigende Weltmacht, mit der wir uns immer öfter beschäftigen müssen. Sie verrät aber auch mehr über uns selbst, als manchem lieb sein dürfte: Die Deutschen neigen zu Übertreibungen. In globalen Krisenzeiten mehr denn je. Das ist nicht ungefährlich. Denn Deutschland lebt vom Export wie keine andere Industrienation. Deshalb ist es entscheidend, die globalen Veränderungen, die der chinesische Aufstieg mit sich bringt, realistisch einzuschätzen. Davon sind wir indes weit entfernt. China sei »furchterregend mächtig«, konstatierte beispielsweise ein deutscher Zeitungskommentator im Frühjahr 2011.[1]In keinem anderen europäischen Land sehen die Menschen China so negativ wie in Deutschland. Das fand ein amerikanisches Forschungsinstitut im Juli 2011 bei einer Umfrage heraus.[2]In Frankreich, England und Spanien dagegen hat die Mehrheit der Befragten sogar ein positives Bild von China – selbst in denUSA, die unter Chinas Aufstieg am meisten leiden. Weltweit haben nur noch die Türken und die Japaner ein schlechteres Bild von den Chinesen.
In den 17 Jahren, in denen ich in China lebe, hat die Sichtweise der Deutschen auf das Reich der Mitte eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht. Erst wurde es für seine Rückständigkeit und sein politisches System belächelt und bemitleidet. Dann wurde es für sein Wirtschaftswachstum bewundert und für seine Menschenrechtsverletzungen kritisiert. Inzwischen wird es vor allem gefürchtet. Die Reaktionen auf China werden harscher. Beschäftigte in Deutschland sorgen sich um ihre Arbeitsplätze, die nach China verlagert werden könnten. Autofahrer fürchten den Rohstoffhunger der Chinesen, wenn an der Tankstelle die Benzinpreise klettern. Studenten und Azubis spüren die Konkurrenz aus Asien beim Einstieg ins Berufsleben. Mittelständler fürchten die preiswertere chinesische Konkurrenz. Deutschen Vorständen sind die mächtigen chinesischen Staatsbetriebe zuwider, die mit harten Bandagen spielen. Deutsche Politiker starren wie gelähmt auf die wachsenden Geldreserven der Chinesen, während sie selbst immer mehr Schulden anhäufen. Mit Unbehagen bemerken sie, dass die neue Weltmacht des 21. Jahrhunderts noch immer eine Diktatur ist. Produktpiraten, Cyber-Angreifer, Menschenrechtsverletzer, Rohstoffvergeuder, Neokolonialisten und Umweltverschmutzer. Das sind alles Attribute, die in Deutschland gerne verwendet werden, wenn es um China geht. Positive gibt es sehr viel weniger. Die meisten Chinesen hingegen bewundern Deutschland. Als ich neulich mit Madame Fu Ying, der für Europa zuständigen Vizeaußenministerin, einen Tee trank, erzählte sie mir, dass sie die große Ausstellung in Peking über die Zeit der deutschen Aufklärung besucht habe. Als sie an den Exponaten vorbeiging, sei ihr noch einmal deutlich geworden, durch welche »Höhen und Tiefen Deutschland gehen musste, und was dies an Unruhen, Kriegen und Kolonisierung für andere Teile der Welt bedeutet« habe. Aber »mit Gewissenhaftigkeit, Klugheit und Fleiß hat Deutschland diese schwierigen Zeiten hinter sich gelassen und dieses hohe Niveau an Demokratie und Wohlstand erreicht«. Madame Fu wunderte sich darüber, warum sich die Deutschen so sch