Mutter-Tochter-Beziehungen in der Migration Biographische Erfahrungen im alevitischen und sunnitischen Kontext
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Asiye Kaya
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Mutter-Tochter-Beziehungen in der Migration Biographische Erfahrungen im alevitischen und sunnitischen Kontext
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VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
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9783531921501
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1
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CHF 37.60
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Frauen- und Geschlechterforschung
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German
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292
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DRM
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PC/MAC/eReader/Tablet
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PDF
Dr. Asiye Kaya ist Sozialwissenschaftlerin, Dipl.-Päd., und zurzeit als Vertretungsprofessorin für das Lehrgebiet 'Soziologie der Kindheit und Jugend', Fachbereich Sozialwesen an der Fachhochschule/ University of Applied Sciences Bielefeld tätig.
1 Einleitung
(S. 9)
Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie stehen Familien- und Lebensgeschichten von alevitischen und sunnitischen Müttern sowie deren Töchter in Deutschland. Die Sunniten machen in der Türkei die Mehrheitsgesellschaft aus, die Aleviten bilden die soziale Minderheitsgruppe.
Die Studie untersucht die geschlechtsspezifischen Tradierungsprozesse in der Migration im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu einer Mehrheits- oder Minderheitskultur in der Herkunftsgesellschaft Türkei, daher ist die vorliegende Arbeit eine migrationsbiographische Vergleichsstudie.
In der Migrationsforschung in Deutschland herrscht über MigrantInnen, insbesondere über Frauen aus der Türkei, eine Fokussierung auf die Ankunftsgesellschaft bzw. eine ethnozentristische Perspektive der deutschen Mehrheitsgesellschaft vor. Dies verursacht eine Wissenslücke innerhalb dieser Forschungen, da Untersuchungen zu den Herkunftskontexten der Frauen ausgeblendet werden. Ihre Lebenserfahrungen werden als Defizit bzw. als Konfliktpotenzial zwischen ihnen und der Mehrheitsgesellschaft stigmatisiert.
Diese Tatsache verursacht m.E. eine Diskontinuitätserfahrung bei den Frauen, da sie – entsprechend den Erwartungen der Einwanderungsgesellschaft – ihre Lebenserfahrungen im Herkunftsland als etwas dort Zurückgelassenes betrachten müssen. Dies möchte die vorliegende Arbeit mit ihrem vergleichenden Ansatz, indem der Herkunftskontext und die Lebenserfahrungen der Frauengenerationen mit in die Studie einbezogen werden, ändern.
1.1 Der Entstehungsprozess des Forschungsthemas
Den Zugang zu diesem Forschungsthema fand ich durch meine pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, von denen mehrere türkischstämmige Eltern hatten. Diese praxisbezogene Arbeit begleitete mein Studium in den Sozial- und Erziehungswissenschaften. Während meiner mehrjährigen pädagogischen Tätigkeit beobachtete ich, dass mit Beginn der Adoleszenz4 vor allem Mädchen begannen, sich intensiv mit sich selbst auseinanderzusetzen.
Sie befanden sich in einem Lebensabschnitt, in dem sie mit allen sozialen und psychologischen Bedingungen der Weiblichkeit konfrontiert wurden (Chodorow 1985, Gilligan 1992). Ihr Aussehen, ihre Familiensituation, ihre Beziehungen zu ihren Müttern, zu Peergroups und zu ihren LehrerInnen standen im Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzungen. Die Schule erhielt, als eine repräsentative Institution der deutschen Mehrheitsgesellschaft, immer mehr Bedeutung.
Die Frage nach der eigenen Zugehörigkeit wurde zunehmend in den Mittelpunkt gestellt, wobei den Fremdzuschreibungen eine große Bedeutung zukam (G.H. Mead 1934). Diese Konfrontation waren nicht nur ihrer Lebensphase geschuldet, sondern sie wurden durch ihr gesellschaftliches Umfeld, besonders aufgrund ihres Status‘ als ‚ausländische Mädchen‘ – und im Fall der vorliegenden Studie als ‚türkische Mädchen‘ – immer wieder dazu aufgefordert, sich innerhalb der deutschen Gesellschaft zu positionieren.
Die Etikettierung ‚türkisches Mädchen‘, die sie als identitätsstiftendes Merkmal in ihrem Alltag begleitete, diente den Institutionen zur Erklärung von Konflikt- oder Problemsituationen zwischen ihnen und den öffentlichen Einrichtungen. Hinzu kam ein aktuelles migrationspolitisches Thema: In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wurde in der Öffentlichkeit die Bedeutung der Migrantinnen (insbesondere mit türkischer Herkunft), die in ihrer Rolle als Mutter für die Erziehung ihrer Kinder verantwortlich gemacht wurden, stark thematisiert.
Die Anpassung der ‚türkischen Mütter‘ an die deutsche Gesellschaft wurde nicht nur als Maßstab für die Anpassungsleistungen ihrer in Deutschland aufwachsenden Kinder betrachtet, sondern vielmehr vorausgesetzt.
Inhaltsverzeichnis
6
Danksagung
8
1 Einleitung
10
1.1 Der Entstehungsprozess des Forschungsthemas
11
1.2 Forschungen zur Mutter-Tochter-Beziehung in der Türkei
14
1.3 Türkische Mutter-Tochter-Beziehung in der deutschen Migrationsforschung
16
1.4 Fragestellungen der Untersuchung
18
1.5 Aufbau der Arbeit
20
2 Sunniten und Aleviten in der Türkei
22
2.1 Vorbemerkungen
22
2.2 Das türkische Sunnitentum
25
2.3 Alevitentum
37
3 Alevitinnen und Sunnitinnen in Deutschland
51
3.1 Migration der Frauen aus der Türkei nach Deutschland
51
3.2 Sunniten in Deutschland
54
3.3 Aleviten in Deutschland
59
3.4 Bilder über türkische Frauen und Mädchen in Deutschland
63
4 Methodisches Vorgehen und Forschungsdesign
70
4.1 Allgemeine Vorbemerkungen
70
4.2 Biographische Forschung über Migrationsverläufe in Deutschland
71
4.3 Anwendung der Methode
74
5 Falldarstellungen
96
5.1 Neziha Demiray
96
5.2 Meral Demiray (Tochter von Neziha Demiray)
124
5.3 Elif Toprak
151
5.4 Ayla Toprak (Tochter von Elif Toprak)
194
6 Typisierung und Zusammenfassung der Ergebnisse
226
6.1 Vorbemerkungen: Bindung und Ablösung in der Adoleszenz
227
6.2 Typisierungen
231
6.3 Zusammenfassung der Ergebnisse: Soziale Vererbung bei Migrantinnen und ihren Töchtern: Alevitinnen und Sunnitinnen
244
7 Fazit
259
Literaturverzeichnis
264
Anhang
286