Bedrohungskommunikation Eine gesellschaftstheoretische Studie zu Sicherheit und Unsicherheit
:
Werner Schirmer
:
Bedrohungskommunikation Eine gesellschaftstheoretische Studie zu Sicherheit und Unsicherheit
:
VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
:
9783531909509
:
1
:
CHF 37.50
:
:
Allgemeines, Lexika
:
German
:
226
:
Wasserzeichen/DRM
:
PC/MAC/eReader/Tablet
:
PDF
Realismus und Konstruktivismus streiten sich um die Vorherrschaft über das Thema 'Sicherheit' in den Internationalen Beziehungen, aber beide blenden den Beobachter aus. Werner Schirmer zeigt, dass jede Art von Sicherheitsproblem einen Beobachter voraussetzt und entwickelt basierend auf der Luhmannschen Systemtheorie ein kommunikationstheoretisches Konzept von Sicherheit und Unsicherheit, das den Namen 'Bedrohungskommunikation' trägt.
Dr. Werner Schirmer promovierte bei Prof. Dr. Armin Nassehi an der Ludwig-Maximilians-Universitä München. Er arbeitet als Lehrbeauftragter und Forscher am Institut für Soziologie der Universität Uppsala in Schweden.
5 Bedrohungskommunikation und funktionale Differenzierung
(S. 120-121)
Das Ziel dieses Kapitels ist es, die Beobachtungstheorie (Kapitel 3) und die Kommunikationstheorie (Kapitel 4) mit der luhmannschen Gesellschaftstheorie zusammenzuführen. Nachdem Bedrohungskommunikation als die Kommunikation von Bedrohungen, die sowohl Sender als auch Adressaten betreffen, definiert wurde, kann nun der Frage genauer nachgegangen werden, inwiefern diese Art von Kommunikation sich von anderer Kommunikation unterscheidet, und grundsätzlicher, welche Art von Kommunikation in der Gesellschaft sonst vorkommt.
Das primäre Charaktermerkmal der modernen Gesellschaft ist eine funktionale Differenzierung, d.h. die Differenzierung in autonome und selbstreferenziell geschlossen operierende Teilsysteme wie Politik, Recht, Wissenschaft, Wirtschaft, Religion, Kunst oder Medizin.
Neben dem Prinzip funktionaler Differenzierung wird in diesem Kapitel vor allem der Theorie der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien eine tragende Bedeutung zukommen. Denn die Hauptargumentationslinie dieses Kapitels verfolgt die Absicht, Sicherheit als ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium - neben Macht, Geld, Recht, Wahrheit, Liebe oder Kunst - einzuführen.
Die Funktion solcher Medien ist es, die Anschlusswahrscheinlichkeit von Kommunikation zu erhöhen. Sicherheit wird dabei als gesellschaftlicher ‚Wert’ rekonstruiert. Sowohl in den Gesellschaftstheorien von Parsons als auch von Luhmann werden Werte ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium behandelt, so dass man Sicherheit mit einigem Recht als ein solches Kommunikationsmedium nennen kann. Vorteil dieses Verständnisses von Sicherheit ist die hohe Vergleichbarkeit mit Medien aus allerlei Arten von gesellschaftlichen Teilbereichen, die mit ‚Sicherheit’ auf den ersten Blick nicht viel zu tun haben.
Am Beginn des Kapitels werden zwei Säulen der Gesellschaftstheorie dargestellt: der Gesellschaftsbegriff und das Prinzip der funktionalen Differenzierung. Ein Augenmerk wird dabei auf der binären Codierung der Funktionssysteme liegen. Funktionssysteme beobachten nach einer zweiwertigen Leitdifferenz, etwa das Rechtssystem mit recht/unrecht oder Wissenschaft mit wahr/unwahr (5.1). Im anschließenden Abschnitt wird gezeigt, inwiefern Bedrohungskommunikation auch nach einer binären Leitunterscheidung beobachtet, nämlich dem Code bedroht/sicher. Auffällig an diesem Code ist dabei die Nichtidentität von Präferenzwert und Anschlusswert, eine Besonderheit, die sonst nur im Medizinsystem auftaucht (5.2).
Der darauf folgende Hauptabschnitt wird zunächst allgemein in die Theorie der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien einführen, um im Anschluss ‚Sicherheit’ als Medium zu identifizieren. Anhand von drei empirischen Beispielen wird die These erläutert und auf zwei Sondereigenschaften symbolisch generalisierter Medien eingegangen: Anfälligkeit für Inflation/Deflation und Körperbezug (symbiotische Symbole). Im Fall von Sicherheit wird der Körperbezug durch Angst hergestellt (5.3).
5.1 Gesellschaftstheorie
5.1.1 Gesellschaft und Gesellschaftstheorie
In der soziologischen Systemtheorie wird Gesellschaft definiert als das umfassende soziale System, das alle anderen sozialen Systeme in sich vereint. Es gibt keine Kommunikation außerhalb der Gesellschaft (Luhmann 1984: 60f). Mit jeder Form von Kommunikation wird Gesellschaft mit vollzogen. Andererseits kann die Gesellschaft daher nichts anderes als kommunizieren: „Das Verhältnis ist zirkulär zu denken: Gesellschaft ist nicht ohne Kommunikation zu denken, aber auch Kommunikation nicht ohne Gesellschaft" (Luhmann 1997: 13). Eine Beschreibung der Gesellschaft - auch eine Gesellschaftstheorie - findet somit innerhalb der Gesellschaft statt. Gesellschaft als kommunikative Einheit kann durch Kommunikation damit letztlich nie erreicht werden. Man kann sie zwar bezeichnen und beschreiben, aber diese Beschreibung trägt zur Gesellschaft - zum Beschriebenen - selbst bei.
Vorwort
6
Inhalt
8
1 Einleitung
12
1.1 Hintergrund
12
1.2 Problemformulierung
16
1.3 Argumentation und Aufbau des Buches
22
2 Sicherheit in den Internationalen Beziehungen
25
2.1 Hintergrund: Sicherheit und Internationale Beziehungen
25
2.2 Theorien und Tendenzen in den Internationalen Beziehungen
28
2.3 Probleme mit dem Sicherheitsbegriff
39
2.4 Der blinde Fleck
51
3 Beobachtung von Bedrohung und Sicherheit
60
3.1 Beobachtung und Form
61
3.2 Beobachtung von Bedrohungen
68
3.3 Zum Unterschied von Drohung und Bedrohung
79
4 Zum Konzept von Bedrohungskommunikation
81
4.1 Sicherheit als Kommunikation
81
4.2 Systeme und Kommunikation
87
4.3 Sicherheit und Kommunikationstheorie
95
5 Bedrohungskommunikation und funktionale Differenzierung
121
5.1 Gesellschaftstheorie
122
5.2 Bedrohung als Beobachtungsperspektive
131
5.3 Kommunikationsmedien
137
6 Bedrohungskommunikation und politische Kommunikation
163
6.1 Politisches System und politische Kommunikation
165
6.2 Politik und Bedrohung
173
7 Bedrohungskommunikation im Kontext anderer Systeme
182
7.1 Bedrohungskommunikation und andere Systeme
183
7.2 Bedrohungskommunikation als Parasit
193
8 Konklusion
206
8.1 Eine nichtnormative Theorie der Sicherheit
206
8.2 Möglichkeiten für die Forschung
214
Literatur
219